Bewertung von Immobilien im Lichte von Covid-19

13/10/2020

Marie Seiler

PwC Switzerland

8 min

In Kürze: Wohnen bleibt das beliebteste Segment bei institutionellen Investoren und leidet kaum unter der Krise. Während sich bei Büros die Perspektiven erst eintrüben, sieht es in Teilen des Verkaufs bereits düster aus.

 

Wenig Erschütterungen

 

Das schwache Wirtschaftswachstum der Vorjahre wurde durch Covid-19 abrupt in eine Rezession umgewandelt. Die meisten Immobilienanlagen wurden und werden durch die Krise nur wenig tangiert.
 

In Kürze: Wohnen bleibt das beliebteste Segment bei institutionellen Investoren und leidet kaum unter der Krise. Während sich bei Büros die Perspektiven erst eintrüben, sieht es in Teilen des Verkaufs bereits düster aus.

 

Nach einer anfänglichen Verunsicherung bei kotierten Immobiliengesellschaften und Fonds im März ist in diesem Segment wieder Ruhe eingekehrt. Diese Ruhe ist unter anderem den stabilen Bewertungen der Immobilien im Portfolio und den Sensitivitätsanalysen, die von den kotierten Immobiliengefässen publiziert wurden, zu verdanken.
 

Die situationsbedingten Mietzinsausfälle sind an den Immobilienbewertungen vorbeigegangen, und Effekte auf Renditeerwartungen respektive die Kapitalisierung können nur sehr selektiv beobachtet werden (siehe dazu Kasten).

 

Schlägt sich die Krise in den Bewertungen nieder?

 

Direkte Immobilienanlagen in den Portfolios der institutionellen Investoren werden in der Regel nur ein- bis zweimal pro Jahr bewertet. In der Bewertung geht man von prospektiven Cashflows aus. Für die Mehrheit der Anlagegefässe war die letzte Bewertung per Dezember 2019, also noch ohne jeglichen Einfluss der krisenbedingten strukturellen Veränderungen und aussergewöhnlichen Mietzinsausfälle. Nächster Bewertungstermin ist der 30. Juni, der erste Schock ist bereits überstanden, und es werden kaum noch weitere Mietzinssenricardo-gomez-angel-0BfH_uNpE4Y-unsplash.jpgkungen gewährt. Somit blieben die prospektiven Cashflows der Immobilien und die Marktwerte von den Mietzinsausfällen verschont.
 

Aus unserem Einblick in die vielen Portfolios, die wir entweder selber bewerten oder als Audit-Experte beurteilen, zeigen sich für die Halbjahresabschlüsse in der Immobilienwelt keine Verwerfungen. Wohnliegenschaften haben mehrheitlich nochmals an Wertgewonnen, kommerziell genutzte Liegenschaften haben im Schnitt eine leichte Abwertung erfahren. Über alles wurden stabile bis positive Aufwertungseffekte verzeichnet.

 

Klareres Bild zur Jahresmitte
 

Die Bewerter haben in den letzten Monaten keine einfache Aufgabe gehabt. Es gab kaum eine ausreichende Evidenz, um genaue Einschätzung der coronabedingten Wertschwankungen machen zu können. Das Transaktionsvolumen 2020 liegt weit unter dem bereits schwachen Vorjahr 2019. Die transaktionsarmen Monate Januar und Februar sind noch schwächer ausgefallen als 2019 und auch von März bis Mai blieb das Transaktionsvolumen bescheiden, bis auf den öffentlich bekannten Deal von Globus, der das Transaktionsvolumen als Einmaleffekt angehoben hat.
 

Obwohl die Transaktionstätigkeit im Juni wieder zunehmen konnte und ein deutlich aktiverer Sommer erwartet wird, gibt es kaum Fakten, die klar für eine Abwertung sprechen würden. Darauf beziehen sich auch die Bewerter in ihren Disclaimern.
 

Die internationale Bewertungspraxis, angeleitet von IVSC und RICS, hat den Bewertern in den turbulenten Frühlingsmonaten empfohlen, sich auf eine erhöhte, sogar signifikante oder wesentliche Unsicherheit am Markt zu berufen und die Aussagekraft der Bewertungen einzuschränken. Dies wurde in die Praxis der Bewerter auch in der Schweiz umgesetzt, besonders wenn es um Akquisitionsbewertungen im unsicheren Marktumfeld ging.
 

Für die aktuellen Halbjahresabschlüsse ist dies aber keine gute Lösung. Sobald die Aussagekraft der Bewertung mit «wesentlicher» oder «signifikanter» Unsicherheit eingeschränkt ist, kann der Auditor die Richtigkeit der Zahlen im Abschluss respektive die Höhe des NAV (siehe Kasten) nicht bestätigen.
 

Wir haben diese Problematik intern mit den Experten aus dem Audit diskutiert. Während wir als Bewerter einem erhöhten Risiko einer Fehleinschätzung ausgesetzt sind, benötigt der Auditor trotzdem eine klare Aussage.
 

Die Wiederbelebung des Immobilientransaktionsmarktes sowie die klaren Entscheide über die Stundungen und Mietzinserlasse kamen genau rechtzeitig, um die Wertaussagen besser eingrenzen zu können. Entsprechend konnten wir Bewerter nicht nur die wenigen erfolgten und aktuell laufenden Transaktionen interpretieren, sondern auch die volkswirtschaftliche Entwicklung und die Konsequenzen für die einzelnen Marktsegmente beobachten und entsprechende Rückschlüsse auf die Investorenpräferenz und Cashflow-Effekte ziehen. Pünktlich zum Halbjahresabschluss konnten die Disclaimer mehrheitlich auf eine «leichte» Unsicherheit abgeschwächt werden, und die Aussagekraft der Bewertungen hat sich erneut erhärtet.
 

Wie sind die Segmente betroffen?

Wohnen


Die Vorsorgegelder sind in der Schweiz stark im Wohnsegment investiert. Wohnungsmieten wurden am wenigsten durch coronabedingte Mietzinsausfälle betroffen und werden entsprechend einmal mehr als krisensicher bestätigt. Demzufolge ist auch die Präferenz für Wohnimmobilienanlagen weiter angestiegen, und die Renditeanforderungen der Investoren sind seit Dezember 2019 nochmals leicht gesunken. Als Bewerter haben wir die Kapitalisierungssätze für Wohnliegenschaften daher je nach Lage um bis zu 15 Basispunkte gesenkt und die meisten Wohnliegenschaften an guten Lagen entsprechend aufgewertet.
 

Büro


Auch Büroliegenschaften sind eine beliebte Immobilienanlage und machen einen wesentlichen Teil des Immobilienportfolios aus. Büroliegenschaften haben im ersten Halbjahr 2020 kaumLeerstände erlitten. Die meisten Betriebe konnten ihre Tätigkeit in HomeofficeStrukturen fortführen, und obwohl die Büroliegenschaften leer standen, wurden kaum Mietzinssenkungsbegehren eingereicht. Die Cashflows waren in der ersten Jahreshälfte nahezu sicher.
 

Trotzdem blieben Büroliegenschaften nicht verschont. Wricardo-gomez-angel-CTy0MZ_aCGY-unsplash.jpgährend kaum kurzfristige negative Effekte zu verzeichnen sind, wurde der strukturelle Wandel um mehrere Jahre beschleunigt. Homeoffice ist nicht nur salonfähig geworden, sondern auch eine willkommene Sparmassnahme, die zudem auf breite Zustimmung der Mitarbeiter stösst. Entsprechend wird der Flächenexpansion durch Corona ein Vollstopp erteilt. Die meisten Unternehmen sitzen auf viel zu viel Fläche und können eine spätere Belebung der Wirtschaft meistern, ohne weitere Flächen dazuzumieten.
 

Während Innenstadtlagen interessant bleiben düften, werden Backoffice-Lagen in den Agglomerationsgürteln der Grossstädte unter Druck kommen. Wir berücksichtigen solche Effekte bereits in unseren Bewertungen, indem wir einerseits die Marktmieten realistisch tiefer einschätzen und andererseits die Kapitalisierungssätze kritisch überdenken.
 

Verkauf


Die Verkaufsnutzung ist aktuell die Schattenseite des Immobilienmarktes, und die Marktmieten müssen neu beurteilt werden. Dabei ist es wichtig, klar zu unterscheiden: Während Food-Segment und Nahversorgung durch die zweimonatige Grenzschliessung und ein reduziertes Restaurationsangebot profitiert haben, ist das Non-Food-Segment an dezentralen Lagen im Epizentrum der Krise. Demzufolge sprechen Investoren im stabilen Bereich Food nicht mehr vom klassischen Retail, und die Nahversorgungsbetriebe werden aus der Diskussion um strukturellen Wandel im Verkaufssegment herausgehalten.
 

Positiv werden auch nach wie vor High-Street-Lagen und etablierte, gut funktionierende Shoppingcenter beurteilt. Viele andere Retail-Investments sind heutzutage nur als opportunistische Anlage handelbar. Gemäss Credit Suisse haben Detailhandel und Gastronomie einen Ausfall von bis zu 20 Prozent des jährlichen Umsatzes erfahren. Ein solcher Einbruch ist schwer nachzuholen und wird die Marktmieten im RetailSegment entsprechend negativ beeinflussen.
 

Die meisten Immobilienmanager werden kurz- und mittelfristig den Retail­-Anteil nicht weiter ausbauen, sondern sogar reduzieren. Dies beeinflusst nebst den tieferen Marktmieten auch die Kapitalisierungssätze. Wir haben in Extremfällen die Kapitalisierungssätze für strukturell problematische RetailObjekte um bis zu 35 Basispunkte angehoben.
 

Es ist hier jedoch anzumerken, dass der Anteil der problematischen RetailLiegenschaften in den meisten Portfolien der institutionellen Immobilieninvestoren sehr gering ist und nur wenig Einfluss auf die Gesamtperformance des Portfolios haben wird.

 

Ein insgesamt positives Bild


Über alle Immobilienanlagen sehen wir ein stabiles bis positives Bild. Die tiefen Zinsen bilden nach wie vor einen Floor für die Marktwerte und machen das Investieren in Immobilienanlagen heute wie vor acht Monaten sehr attraktiv.

 

Net Asset Value (NAV)


Der Net Asset Value (Nettoinventarwert) der Schweizer Immobilienanlagen wird durch die externen Bewertungen massgeblich beeinflusst. Vereinfacht dargestellt ist der NAV die Summe aller zu Marktwerten bewerteten Assets, also Immobilien im Portfolio, abzüglich aller Schulden und Verbindlichkeiten. Wenn wesentliche Unsicherheiten auf dem Markt bestehen, schränken die externen Bewerter die ermittelten Marktwerte signifikant ein und die Aussagekraft deren Gutachten ist nicht mehr gegeben. Dies hatte die Immobilienmärkte in diesem Frühling teils eingeschränkt. Folglich wurden manche Kapitalmarkttransaktionen wie Kapitalerhöhungen aufgeschoben. Die seit (Früh-) Sommer wieder laufenden Transaktionen, sowie die klaren Entscheidungen zu Stundungen und Mietzinsausfällen haben die Situation auf dem Markt normalisiert.

Marie Seiler
Head Real Estate Advisory
PwC Switzerland