'COVID 19'-Interview - Manuel Leuthold, Präsident von Coptis, der Schweizer Berufsverband für Immobilienverbriefung

06/10/2020

Immoday

Redaktion

4 min

Zu dem heutigen "COVID-19"-Interview begrüssen wir Manuel Leuthold, Präsident von Coptis, der Schweizer Berufsverband für Immobilienverbriefung.
 

Guten Tag Herr Leuthold. Wie geht es Ihnen und wo befinden Sie sich gerade?
 

Mir geht es gut, ich bin bestens in Form und arbeite von zu Hause aus. Als unabhängiges Verwaltungsratsmitglied habe ich das Glück, einer Tätigkeit nachzugehen, die sich gut für Telearbeit eignet. Ich habe ein Dutzend Verwaltungsratsmandate inne – gut die Hälfte davon als Vorsitzender – in den Bereichen Banken, Asset Management, Immobilien, Gesundheit und Automobil. Auch wenn dies ganz unterschiedliche Sparten sind, kann ich meine Arbeit perfekt von zu Hause aus erledigen.
 

Geben Sie uns eine kurze Beschreibung?

 

Ich bin Banker. Über dreissig Jahre lang war ich für Banken tätig, zuerst bei der UBS, dann bei der Banque Edmond de Rothschild in Genf. Seit vier Jahren bin ich unabhängiges Verwaltungsratsmitglied. Mein grösstes Mandat wurde mir durch den Bundesrat mit dem Vorsitz des Ausgleichsfonds anvertraut, das sind Vermögen der ersten Säule in Höhe von rund 40 Milliarden, die ich mit einem Team aus 50 Personen in Genf verwalte. Wie gesagt, eine spannende Arbeit, da sie mit äusserst vielfältigen Aufgaben verbunden ist, mit Herausforderungen und zahlreichen Gesprächspartnern und, je nach Dossier, sehr unterschiedlichen Verhaltensregeln, denn einige Sektoren sind stark reguliert, andere dagegen weniger oder auf andere Weise.
 

Die Arbeit macht mir so viel Spass, dass es keine deutliche Trennung meines Berufs- und Privatlebens gibt. Ich würde sogar sagen, dass diese verschiedenen Tätigkeiten mein grösstes Hobby sind, weil sie mich faszinieren und viele der Leute, mit denen ich zusammenarbeite, gute Freunde für mich geworden sind. Ein ausgesprochen vorteilhaftes Arbeitsumfeld.
 

Was indirekte Immobilien im Einzelnen betrifft, führe ich selbstverständlich den Vorsitz von COPTIS, dem Berufsverband für Immobilienverbriefung in der Schweiz. Darüber hinaus habe ich die Möglichkeit, den Immobilienbereich auf verschiedenen Ebenen mitzugestalten. Erstens als Anleger, denn Compenswiss ist mit rund 10% des investierten Vermögens der drei Fonds, das heisst, etwas mehr als drei Milliarden Franken, ein bedeutender indirekter Immobilieninvestor. Wir investieren ausschliesslich in verbriefte Immobilienanlagen von kotierten und nichtkotierten Unternehmen in der Schweiz und im Ausland. In der Asset Management bin ich ebenfalls aktiv, als Verwaltungsratspräsident der Patrimonium Asset Management AG und der Varia US Properties AG, einer an der SIX kotierten schweizerischen Gesellschaft, die ausschliesslich in Wocity-4991094.jpghnimmobilien in den USA investiert. Ausserdem bin ich im Verwaltungsrat der Sustainable Real Estate, einer in Zürich ansässigen SICAV, sowie der auf Immobilienentwicklung spezialisierten Fundim SA mit Sitz in Lausanne. So habe ich Gelegenheit, den Immobiliensektor aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten: von der Projektentwicklung bis hin zur Verwaltung bestehender Gebäudeparks, mit Käufen und Verkäufen, einschliesslich der Anlegersicht, unter aufmerksamer Beobachtung des nationalen und internationalen Marktes.
 

Wie organisieren Sie sich in der Corona-Krise?


Mit den verschiedenen Gesellschaften in Kontakt zu bleiben, erfordert Flexibilität. Meine Dienste werden im Moment übrigens häufiger in Anspruch genommen, da meine Auftraggeber viele Fragen haben, die sie mit mir erörtern möchten. Für ein Verwaltungsratsmitglied, das nicht direkt am operativen Geschäft beteiligt ist, ist es wesentlich, gut vernetzt zu bleiben, die Geschehnisse zu beobachten und die Aufmerksamkeit der Geschäftsführung auf die Hauptrisiken zu lenken. Das können Gegenpartei- oder Liquiditätsrisiken sein, die man in allen Wirtschaftssektoren findet. Für Banken gibt es besondere Risiken, zum Beispiel ist im Zusammenhang mit Lombardkrediten zu beachten, ob der Deckungswert dieser Kredite stark gesunken ist und ob bei den Kunden eine Überziehung vorliegt oder nicht. Grob zusammen-gefasst, man schaut, ob weiterhin Geld zurückfliesst, ob man Engagements eingehen oder Abflüsse auffangen kann... und achtet auf Risiken im Zusammenhang mit reibungslosen Arbeitsabläufen oder mit der IT-Sicherheit. Der Vorteil eines unabhängigen Verwaltungsrats ist, dass er einen gewissen Abstand wahrt und so auf potenzielle Risiken hinweisen kann. Es ist eine spannende und gleichzeitig sehr aktive Zeit.
 

Auch das Organisatorische muss erledigt werden, nämlich die Verwaltungsräte zu führen. Das läuft zwar gut, aber natürlich erfordert es viel Aufmerksamkeit und Disziplin, mit 20 Personen über Landesgrenzen hinweg in zwei Sprachen am Telefon zu kommunizieren, insbesondere im Hinblick auf die sorgfältige Erstellung von Protokollen. Noch dazu sind wir gerade mitten in der Phase der Generalversammlungen und müssen uns überlegen, ob wir sie verschieben oder durchführen und wie wir sie organisieren können, da sich dies in elektronischer Form doch recht schwierig gestaltet ... alles Herausforderungen, die wir erfolgreich meistern müssen, um eine möglichst gute Governance zu wahren, ohne zu viel Verzögerungen.
 

Welche Folgen wird die Krise Ihrer Meinung nach für den Immobiliensektor, für indirekte Immobilienanlagen im Allgemeinen und für Ihre Tätigkeit im Besonderen haben?
 

Ich würde hier zwischen den kurzfristigen und den mittel- bzw. langfristigen Auswirkungen unterscheiden. Die kurzfristigen sind erheblich. Es besteht die Sorge um Mieteinnahmen – ob es sich um Privatpersonen handelt, die Einkommensverluste erleiden, oder um Unternehmen, die sich mit der Bitte um andere Lösungen an den Vermieter wenden, weil sie den mehr fristgerecht nach nachkommen können. Es erfordert Flexibilität, die zahlreichen Parameter zu managen, ohne jedoch alles aufzugeben, bevor man überhaupt weiss, wovon man spricht oder wohin die Schwierigkeiten führen. Hinzu kommen die seit Jahresbeginn stillgelegten Baustellen. Wenn Sie geplant haben, bis Mai Wohnungen fertigzustellen, haben nicht nur Sie selbst ein grosses Problem, sondern auch die Mieter, die vor der Tür stehen. Im Hinblick auf Anleger ergibt sich ein doppeltes Problem bei Kapitalerhöhungen oder der Lancierung neuer Vehikel. Es ist zum einen kein guter Zeitpunkt, jetzt neues Kapital von den Anlegern zu beschaffen, die noch ihre jüngsten Verluste an den Finanzmärkten zu verdauen haben. Zum anderen sind nach dem starken Kursrückgang von Wertpapieren (Aktien und sogar einige Obligationen) Immobilienanlagen, die zuweilen mehr als 20 % der Allokationen ausmachten, im Portfolio mancher Anleger stark überbewertet. Mehrere Transaktionen wurden plötzlich einfach storniert, verschoben oder von den Mutigsten nur zu einem geringen Teil durchgeführt.
 

Verbriefte Vehikel tendierten dazu, sich an den Märkten eher wie Aktien als Obligationen zu verhalten. Man bezeichnet Immobilien zwar als festverzinsliche Anlagen, aber es besteht eben doch ein direkter Zusammenhang mit der Wirtschaft, und in Krisen verhalten sie sich wie Aktien. Kurzfristig ist daher mit erheblichen Folgen für die Branche und ihre Akteure zu rechnen.
 

Mittel- und langfristig bleibe ich jedoch optimistisch, da Wohnungen ein unverzichtbares Gut sind, das wir alle brauchen. Die Bevölkerung ist nicht geschrumpft. Vielleicht wird sie angesichts einer nachlassenden Zuwanderung etwas weniger schnell wachsen. Man muss eventuell steigende Leerstandsquoten im Blick behalten, es wird aber auch gewiss ein paar Bauprojekte weniger geben, so dass sich der Markt anpassen dürfte. Der Wert von Sachwerten wird stabil bleiben, denn die Ziarchitecture-3734420_1920.jpgnsen sind extrem niedrig. Es gibt keinen Grund, dass ein Sachwert, der ein regelmässiges Einkommen in Schweizerfranken bietet, an Wert verlieren könnte ... Möglicherweise steigt er sogar. Die Grundlagen sind sehr solide. Der einzige Wermutstropfen, den ich erwähnen muss, sind Bürogebäude. Die Krise, die wir zurzeit durchmachen, hat einige Gegebenheiten und Gewohnheiten infrage gestellt, insbesondere hinsichtlich der erforderlichen Büroflächen. Im Zuge der Telearbeit haben wir gesehen, dass wir uns anders organisieren können und dass ein Unternehmen mit beispielsweise 100 Beschäftigten nicht unbedingt 110 Arbeitsplätze benötigt. 80 würden vielleicht genügen. Dies ist also eine vorhersehbare Folge für Büroimmobilien. Das Gleiche gilt für Verkaufsflächen ausserhalb der Stadt im Gegensatz zu Logistikflächen, die mit dem zunehmenden Online-Handel gefragter sind denn je.
 

Sind indirekte Immobilienanlagen heute ein Zufluchtswert?
 

Ich glaube schon. Sie sind ein positiver Wert, ein Entwicklungswert, der dazu beiträgt, dass institutionelle Anleger regelmässige Renditen erzielen.
 

Wo sehen Sie den Sektor am 31. Dezember 2020?

 

Schwer zu sagen! Die Frage ist, ob das alles nur noch eine ungute Erinnerung sein wird und wir uns dann schon mit anderen Dingen beschäftigen... oder ob wir die Krise nur mit Mühe und Rückfällen überstehen... Das lässt sich kaum vorhersagen. Wenn die Lockerungsmassnahmen gut verlaufen, rechne ich damit, dass die Aktivität bis Ende des Jahres kräftig und schnell wieder aufholt. Wenn die Bevölkerung dagegen schlecht mit den Lockerungen umgeht, man Rückschritte machen und die Massnahmen wieder verschärfen muss, dann wird es schwierig. Das würde ich mir jedoch nicht wünschen.
 

Besondere Risiken? Oder besondere Chancen?


Die Risiken sind ähnlich wie in der Gesamtwirtschaft ... schrumpfende Umsätze und Einnahmen, weniger Inves-titionen und Bauprojekte, Konsumrückgang ... all das im Zusammenhang mit einer Konjunkturverlangsamung und mit Nachwirkungen für die Ergebnisse. Eine Chance besteht indes darin, dass eine gewisse Korrektur statt-findet mit weitaus weniger Transaktionen, da ein Grossteil der Unternehmen stillsteht. Das heisst, dem aufmerksamen Käufer können sich in einem relativ kleinen Zeitfenster gute Geschäfte bieten. Aus Zeiten der Krise und des Wandels, der Unsicherheit und der einschneidenden Veränderungen ergeben sich stets auch interessante Chancen für diejenigen, die ihre Augen offen halten.
 

Und persönlich? Wird diese Krise auch etwas in Ihrem Leben verändern?
 

Mir hat die Krise gezeigt, dass man stets auf das Unvor-hersehbare vorbereitet sein sollte! Das grösste Risiko ist das, mit dem man nicht gerechnet hat ... Und letzten Endes waren wir nicht so schlecht vorbereitet.
 

Persönlich habe ich erkannt, dass die neuen Arbeitsmethoden sehr gut funktionieren, und will sie auch in Zukunft nutzen, um mich besser zu organisieren und unnötige Fahrten weitestgehend zu vermeiden. Das ist zwar manchmal weniger reizvoll als ein angenehmer Termin in Zürich, aber wahrscheinlich effizienter. Ich habe also einige Ideen, wie ich meine Zeit in Zukunft besser nutzen kann, sowohl beruflich als auch privat.
 

 

 

Immoday - interviewt von Philippe Perret du Cray am 27. April 2020