Studentenwohnheime in der Schweiz – Marktüberblick 2021

27/12/2021

Jones Lang LaSalle IP

JLL

5 min

Aktuelle Marktentwicklungen und Interview mit einem Betreiber Veröffentlicht am 19.11.2021

 

Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Bestand an Betten in Studentenwohnheimen um rund 2'000 Stück an. Trotz der Zunahme beziehen nach wie vor rund 90% der in der Schweiz Studierenden ihre Unterkunft über den normalen Wohnungsmarkt, oder sind auf ein gut ausgebautes ÖV-Netz zwischen Hochschulstandort und Elternhaus angewiesen.
 

 

Zusätzlich zu den Bestandeszahlen beinhaltet der dies- jährige Bericht einen neuen Themenschwerpunkt: Ein Kurzinterview mit der Livit FM Services AG, welche di- verse Studentenwohnheime in der Schweiz bewirtschaftet. Darin werden verschiedene Facetten des Betriebs und der Ausstattung von Unterkünften thematisiert.

 

Dieser Bericht gibt einen aktuellen Überblick zu Studentenwohnheimen in der Schweiz. Dabei wird der aktuelle Bestand analysiert und den Prognosen vom Bundesamt für Statistik (Bildungsperspektiven 2020-2029, Referenzszenario A) zur Entwicklung der Anzahl von Studierenden gegenübergestellt. Die neuen Szenarien berücksichtigen soweit möglich die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die Zahl der Studierenden und Abschlüsse.

Für 90% keine Unterkünfte verfügbar

Für die 268'000 Studierenden in der Schweiz stehen im Jahr 2021 rund 27'600 Betten in Studentenwohnheimen zur Verfügung. Dies bedeutet umgekehrt, dass fast 90% der Betroffenen eine Unterkunft über den normalen Wohnungsmarkt beschaffen muss, oder weiterhin bei den Eltern wohnt.

Die Mehrheit der Studierenden wird an den Instituten in Zürich und Winterthur gezählt (76'800), gefolgt von Lausanne (36'100), Bern (28'200), Genf (24'300) und Basel (19'900). Das grösste Angebot an Betten in Studentenwohnheimen weisen Lausanne und Zürich auf. In den beiden Studentenstädten stehen für 17.3%, respektive 11.6% der Studierenden eine Unterkunft zur Verfügung.
 

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Die höchste Versorgung weist aktuell Chur auf. Dort sind in Studentenwohnheimen Betten für rund 23% der Studierenden vorhanden. Davon profitiert insbesondere die Mehrheit der Studierenden an der Swiss School of Tourism and Hospitality, ein Standort der École hôtelière de Lausanne (EHL) in Passugg (GR), auf dessen Campus Zimmer für über 250 Personen verfügbar sind. Das Marktpotenzial in Chur scheint mit knapp 1'900 Studierenden allerdings überschaubar.
 

Neue Zimmer werden absorbiert


Vor einem Jahr wurde «Vortex», das grösste zusammen- hängende Studentenwohnheim der Schweiz, in unmittelbarer Nähe zum Hochschulcampus und der Metro M1 in Lausanne eingeweiht. Das Objekt beherbergt rund 1'000 Studierende und wird durch die Fondation Maisons pour Etudiants Lausanne (FMEL) verwaltet. Aktuell sind sämtliche Zimmer bis mindestens Ende April 2022 be- setzt. Das günstigste Apartment / Studio für ein bis zwei Personen (rund 30 m2) kostet unmöbliert CHF 1'175 im Monat (brutto) bei einer Langzeitvermietung von mindestens zwölf Monaten.

Dieses Jahr gelangten weitere Studentenwohnheime auf den Markt. In Kriens wurden innerhalb der Schweighof Überbauung 140 Zimmer erstellt, welche komplett absorbiert wurden. Ebenfalls 140 Zimmer baute die Berner Fachhochschule für ihre Studierenden in Zollikofen. Von den 90 neu erstellten Zimmern des Campus Facchinetti in Neuchâtel sind noch zwei verfügbar.

Aufgrund der Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wurde der Hotelbetrieb im ehemaligen Swissôtel in Oerlikon im Herbst 2020 eingestellt. Das Gebäude soll saniert und teilweise umgenutzt werden. Als Zwischennutzung bis zum Baubeginn werden Zimmer unter anderem an Studierende vermietet. Aktuell sind sämtliche Betten be- setzt, für Interessenten gibt es eine Warteliste.

 

Geplante Projekte

JLL rechnet bis zum Jahr 2024 schweizweit mit einer zusätzlichen Ausweitung um rund 2'000 Betten. Abb. 1 zeigt neben dem aktuellen Bestand ebenfalls, wie sich die Abdeckung an den jeweiligen Hochschulstandorten unter Einbezug der vom BfS prognostizierten Anzahl Studierenden und der geplanten Neubauprojekte / Zwischennutzungen bis zum Jahr 2024 voraussichtlich entwickeln wird. Nachdem in der Region Luzern seit 2019 bereits über 400 neue Betten erstellt wurden, werden bis 2024 nochmals 250 Zimmer dazukommen. Ebenso wird es in der Stadt St. Gallen einen deutlichen Anstieg durch das Projekt «Stadtsäge» geben, welches 2023/24 fertig ge- stellt werden soll. Aufgrund der aktuell sehr niedrigen Versorgung mit Studentenwohnheimen wird sich das bisherige Angebot nahezu verdoppeln.

Da parallel zu den geplanten Projekten auch die Zahl der Studierenden ansteigen wird, nimmt das Verhältnis der Anzahl Betten in Studentenwohnheimen pro Anzahl Studierende in der Schweiz nur marginal zu, und dürfte sich von aktuell 10.2% auf 10.8% erhöhen.
 


Interview mit einem Betreiber
 

Livit FM Services AG zählt schweizweit zu den grössten operativen Facility Management-Betreibern von studentischen Wohnanlagen. Ein Markt, der überwiegend von nicht gewinnorientierten und regionalen Stiftungen, Genossenschaften und Vereinen geprägt ist. Livit FM Services AG ist schweizweit tätig und betreut beispielsweise das Wohnheim in der Unterere Briggerstrasse in Winterthur, das ETH Student Village auf dem Hönggerberg in Zürich oder das Student Village in Lausanne. Das Inter- view wurde mit Herrn Andreas Wetli, Key Account Manager bei Livit FM Services AG, geführt.


Welche Dienstleistungen erbringt Livit FM Services AG bei Studentenwohnheimen?
 

In erster Linie erbringen wir infrastrukturelles Facility Services wie Unterhaltsreinigung, Grund- und Spezialreinigung, Areal- und Grünpflege, Gartenarbeiten, Winter- dienst, Entsorgung, Flachdachunterhalt, etc.
 

 

Ebenso gehören technische Facility Services zu unseren Hauptdienstleistungen. Wir betreiben, überwachen und unterhalten technische Anlagen wie Heizung, Lüftung, Klima, Abwasser, Elektro sowie Gebäudeautomationen, Sicherheitseinrichtungen, Schliessanlagen und Förderanlagen. Wir sind zudem für die Mandatsführung zuständig und erbringen Beratungsdienstleistungen in Form von Betreiber, Brandschutz- und Sicherheitskonzepten.


Worin unterscheiden sich diese Dienstleistungen zu Services bei normalen Wohnüberbauungen oder bei Serviced Apartments?
 

Die erbrachten Facility Services bei studentischen Wohn- anlagen unterscheiden sich kaum zu herkömmlichen Wohnobjekten oder Serviced Apartments. Was sich unter- scheidet ist der Betrieb. Aufgrund der Anzahl an Studieren- den, der kulturellen Unterschiede sowie der Wohnformen (WGs, Studios) muss ein optimales Betreiberkonzept er- stellt werden. So ist z.B. der Betreuungsaufwand der Studierenden höher, die Mietdauer ist kürzer und daher gibt es mehr Mieterwechsel. Nicht zuletzt stehen die Objekverantwortlichen vor Ort häufiger in Kontakt mit den Studierenden, weshalb die sprachlichen und sozialen Fähigkeiten hier speziell wichtig sind.


Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren oder Differenzierungskriterien beim operativen Betrieb eines Studentenwohnheims?
 

Es braucht ein tiefes Verständnis dafür, Liegenschaften mit solch hohem Betreuungsaufwand rentabel zu betreiben. Wir sind ein professioneller Facility Services-Anbieter, mit automatisierten Prozessen und einem hohen Digitalisierungsgrad. Das ist ein entscheidender Faktor, die wirtschaftlichen Vorgaben unserer Auftraggeber zu erfüllen.
 

Hinzu kommt aber auch der menschliche Aspekt. Unsere Kolleginnen und Kollegen, welche die studentischen Wohnanlagen betreuen, tun dies mit Leidenschaft. Man muss den Austausch mit den Menschen aus verschiedenen Kulturen schätzen und pflegen. Dazu braucht es regelmässigen Kontakt. Wir sind je nach Grösse der Wohnanlage täglich, in jedem Fall aber mehrmals wöchentlich persönlich vor Ort. Wenn es gelingt zwischen Objektverantwortlichen und den Studierenden einen guten Austausch zu etablieren, ist die Betriebssicherheit höher. Wir betreuen bereits seit mehreren Jahren verschiedene Studentische Wohnanlagen. Entsprechend konnten wir Know-how auf- bauen, Prozesse etablieren und kennen die Bedürfnisse der Gebäudenutzer und Auftraggeber.


Weshalb kann die Positionierung einer Immobilie als Studentenwohnheim interessanter sein als die herkömmliche Vermietung zu Wohnzwecken? Falls dies nicht oder nur selten zutrifft, was sind die Gründe da- für?
 

Zwar sinkt die Anzahl der leerstehenden Wohnungen in der Schweiz erstmals seit Jahren wieder, dennoch befinden wir uns bei den herkömmlichen Wohnimmobilien (Mietobjekte), exklusive den grossen Zentren, in einem gesättigten Markt. Demgegenüber nimmt die Anzahl der inländischen und ausländischen Studierenden an unseren Hochschulen und somit die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum stetig zu. Gemäss unseren Erfahrungen gibt es faktisch keinen Leerstand in den Studentenwohnheimen.


Zwischennutzung: Unter welchen Voraussetzungen kann die befristete Zwischennutzung eines innerstädtischen Hotels als Studentenwohnheim sinnvoll und wirtschaftlich sein?
 

Idealerweise treffen mehrere der folgenden Voraussetzungen zu: Attraktive Hochschulen in der Stadt, gute Erschliessung mit öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. Anbindung an die Hochschule(n), der Kaufkraft von Studierenden ent- sprechende Mietzinse. Interessant kann eine Ausgangslage sein, wenn der operative Betrieb ohne grössere Zusatzinvestitionen übernommen werden kann und eine Sanierung oder Erneuerung des Hotels erst nach der Zwischennutzung vorgesehen ist.


Gibt es Unterschiede bezüglich der Herkunft von Studierenden in Abhängigkeit vom Studentenwohnheim?
 

Die Herkunft der Studierenden ist von den Hochschulen respektive den jeweiligen Studienrichtungen abhängig. An den beiden Standorten der ETH Zürich und Lausanne (Student Village) ist die Bewohnerschaft sehr international (Fokus Asien, USA, Deutschland, Südeuropa). Der Anteil von Schweizer Studierenden ist dort im Verhältnis entsprechend eher gering.


Welche Anforderungen in Bezug auf die Ausstattung und Zusatzleistungen werden an eine Unterkunft gestellt?
 

Das klassische Angebot besteht aus einem Mix von einerseits Studios mit eigenem Bad / WC sowie Küchenzeile und andererseits Wohngemeinschaften mit Einzelzimmern, je- doch Bad / WC, Küche sowie Aufenthaltsraum zur gemein- samen Nutzung. Es besteht eine klare Präferenz zu möblierten Zimmern.
 

Bei Gemeinschaftsflächen sind Aufenthalts- und Eventräumlichkeiten gefragt. Auf Fitnessräume und Lernbereiche in den Wohnheimen kann hingegen verzichtet werden, weil dies meist in ausreichender Form an den Hochschulen angeboten wird. Die Bewohnerinnen und Bewohner schätzen zudem Zusatzleistungen wie Kommunikation via App, gratis Internet, Wäscheservices und Reinigung.


Weitere Kennwerte zum Betrieb in Zahlen:

 

- Lebensdauer Möblierung: 5 – 10 Jahre, je nach Pflege / Verhalten der Studierenden und Qualität der Möblierung.
- Durchschnittliche Mietdauer (Fluktuation) je Studierende/Zimmer: 110 Wochen, Kündigungstermine sind in der Regel per Ende Feb- ruar, Mai, August und November.
- Im Mietzins inbegriffene Leistungen: Mietzins, Nebenkosten, Anschlüsse für Internet und TV, Grundmobiliar (Bett, Tisch, Stühle, Schränke, etc.).
 

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www.jll.ch

 


Nils Donner

Senior Associate


​​​​​​​Daniel Stocker MRICS

Head of Research
Zürich