Die Tokenisierung von Immobilien aus der Perspektive eines Fondsmanagers

09/09/2021

Mathieu Saint-Cyr

Geneva Management Group

4 min

Interview mit Mathieu Saint-Cyr


In dieser Interviewreihe lüften fünf Experten das Geheimnis um die Tokenisierung in ihrem Fachgebiet: vom Immobilienentwickler über den unabhängigen Fondsmanager bei der Bank bis zum Wirtschaftsprüfer.

 

In diesem zweiten Interview erfahren wir, was Mathieu Saint-Cyr, Head of Asset Management and Fintech Solutions bei der Geneva Management Group, in seiner Funktion als Fondsmanager über die Tokenisierung von Immobilien denkt. Neben diesen Positionen bei GMG ist er Vorstandsvorsitzender von Wecan Tokenize, einer innovativen Plattform für digitales Vermögen, und Mitbegründer der Geneva Fintech Association.

 

Zuvor war er Leiter des Geschäftsbereichs Trading bei MKS, einem führenden Unternehmen im Bereich Edelmetallhandel und -veredelung. Vor dieser Position zeichnete er verantwortlich für den internationalen Gold-Derivatehandel bei BNP Paribas. Er hat je einen M.Sc.-Abschluss in Mathematik und Finanzmathematik.

 

Wie verbessert die Technologie Ihrer Meinung nach den Finanzsektor?

 

Ich denke, dass Technologie ein integraler Bestandteil des Finanzsektors ist, sei es bei der Verwaltung des Kunden-Onboarding, bei den Investitionen, die sie tätigen, oder bei den Kontrollen, die in Bezug auf diese Investitionen eingerichtet werden müssen. Die Technologie, und insbesondere die Technologie rund um die Tokenisierung, erfüllt die Anforderungen dieser drei Phasen des Investitionsmanagements.

 

Auf der Ebene des Onboardings erstellen wir digitale Profile für Kunden, was diese Prozesse, die immer schneller und effizienter ablaufen, deutlich einfacher gestaltet und damit angenehmer für den Kunden macht. Auf der Ebene der Investitionen ermöglicht diese Technologie dem Kunden oder Anleger, seine Investitionen besser zu verstehen, sie besser zu verfolgen und in Echtzeit zu überwachen. Aber sie hilft auch, bei Bedarf eine gewisse Liquidität zu schaffen, d. h. Anteile an Vermögenswerten, die sie gekauft haben, wieder zu verkaufen.

Und schliesslich ist die Technologie auf der Ebene der Kontrolle dienlich – generell ein äusserst wichtiger Punkt im Finanzsystem. Und natürlich bei der Standardisierung technologischer Kontrollverfahren. Im Rahmen der Tokenisierung ermöglicht dies zum Beispiel einen regulierten Umlauf von Vermögenswerten und Investitionen.
 

Welchen Rat geben Sie Fondsmanagern, die ihren Kunden die Tokenisierung ihres Immobilienvermögens anbieten möchten?

 

Ich habe vielleicht zwei Ratschläge. Der erste besteht darin, sich an die Akteure zu halten, die bereits im Bereich der Tokenisierung tätig waren, Akteure, die einen «Track-Record» vorweisen können und damit bewiesen haben, dass sie diese Technologie beherrschen und konkrete und brauchbare Lösungen für Investoren und für die Menschen, die mit diesen Investoren interagieren, liefern können. Und natürlich auch der Handel mit Finanzanlagen, weshalb es sehr wichtig ist, einen regulierten Rahmen zu haben, die geltenden Vorschriften des Landes zu verstehen, in dem der Manager ansässig ist, aber auch die des Landes, in dem die Anleger ansässig sind, denn diese sind nicht unbedingt dieselben. Die Vorschriften sind von Land zu Land unterschiedlich, und es ist sehr wichtig, dies zu verstehen, um einen Rahmen vorzuschlagen, der den Anleger schützt und die geltende Gesetzgebung des Landes, in dem man tätig ist, einhält.

 

Wie sieht der Investmentprozess aus?

 

Im Grunde genommen ist der Token und die Art und Weise, wie er angeboten wird, insbesondere bei Wecan Tokenize, nichts anderes als eine digitale Darstellung einer Besitzurkunde über einen Vermögenswert. Es ist eine Möglichkeit, Zugang zu Investitionen zu haben. Sie müssen darauf achten, dass dieses Finanzmittel einer traditionellen Besitzurkunde entspricht, wie z. B. einer Besitzurkunde auf Papier, die Sie bei einem Notar unterschrieben haben.

Sobald Sie diesen digitalen Titel haben, sind die Prozesse die klassischen, darunter das Onboarding als Kunde, das heisst der KYC-Prozess – Sie sagen, wer Sie sind, legen einen Identitätsnachweis vor –, Tätigung einer Investition durch Zahlung und Kauf von Token, denn Sie befinden sich auf einem Finanzmarkt, so als ob Sie Aktien, Anteile an Fonds oder andere Finanzinstrumente kaufen würden, und können mit diesen Finanztiteln genauso handeln.

 

 

Wie sieht der rechtliche Rahmen für diese Finanzstruktur aus?

 

Der rechtliche Rahmen ist ein finanzieller Rechtsrahmen im weiteren Sinne, d. h., wir müssen die Vorschriften des Landes, in dem wir ansässig sind, einhalten. In der Schweiz sind dies die Vorschriften, wie sie die FINMA vorgibt, in Luxemburg sind es die Vorschriften der CSSF. Es ist sehr wichtig zu verstehen, welchen Teil der bereits geltenden Vorschriften wir bereits nutzen können, d. h. die Übertragung von Wertpapieren oder von finanziellen Vermögenswerten, und welcher Teil der Vorschriften spezifisch für die Verwendung von digitalen Wertpapieren oder Token gilt.

 

Wir in der Schweiz haben meiner Meinung nach einen grossen Vorteil, da die Aufsichtsbehörde sehr früh, nämlich schon vor einigen Jahren, Beschlüsse gefasst hat und damit weit vor den Aufsichtsbehörden anderer europäischer Länder oder anderer Länder der Welt liegt. Der gesetzliche Rahmen wurde in zwei Etappen gebildet. Zuerst gab es den Rahmen, den wir «Sandbox» nennen, d. h., es wurde versucht, die ersten Transaktionen und die ersten Projekte umzusetzen, und dann – insbesondere in diesem Jahr – das Gesetz, das wie für den Rest der Finanzanlagen gilt und die Fälle der Anwendung und der Verwendung dieser Token festlegt.

 

 

Welche Risiken gibt es bei Investitionen in Immobilien über Tokenisierung?

 

Man sollte unbedingt verstehen, dass die Tokenisierung nur ein Mittel ist, um auf ein Finanzprodukt zuzugreifen, welches wiederum zufällig ein Immobilienvermögen ist, aber auch die Tokenisierung von Fondsanteilen – was bereits geschehen ist – oder anderen Arten von Finanzanlagen wie Aktien oder Anleihen ist denkbar.

 

Die Risiken, die mit einer Investition über Tokenisierung verbunden sind, sind letztlich dieselben wie die Risiken einer Investition in den zugrunde liegenden oder endgültigen Vermögenswert, in den man investiert. Man sollte nicht denken, dass kein Immobilienrisiko mehr besteht, nur weil man tokenisiert hat. Das grösste Risiko ist das Immobilienrisiko, wenn Sie Immobilien tokenisieren. Darüber hinaus gibt es bestimmte Risiken, insbesondere ein regulatorisches: Sie müssen sicherstellen, dass der Token, den Sie kaufen und gegebenenfalls weiterverkaufen, von einem Emittenten ausgegeben wird, der in dem Land reguliert ist, in dem Sie ansässig sind, aber auch in dem Land, in dem der Kunde ansässig ist. Es besteht also ein leicht erhöhtes regulatorisches Risiko.

 

Und schliesslich gibt es ein Tauschrisiko, das sich von dem klassischer Finanztitel unterscheidet, da Token in der Regel auf Marktplätzen getauscht werden, die möglicherweise weniger reguliert sind, oder auf denen Akteure handeln, die weniger Erfahrung haben. Aus diesem Grund raten wir zu einer Anwendung der Tokenisierung in Zusammenarbeit mit sehr bekannten Unternehmen. In der Schweiz bietet zum Beispiel die SDX-Börse, also die Digitalbörse der SIX auf nationaler Ebene, eine Möglichkeit, dieses Risiko stark zu reduzieren.

 

Welche Herausforderungen und Hindernisse gibt es bei der Verwendung dieser zukunftsweisenden Technologie?

 

Zuerst einmal denke ich, dass die Tokenisierung nicht mehr so abgehoben ist, wie sie es in der Vergangenheit war. Sie steht zunehmend mehr Bevölkerungsschichten zur Verfügung, und es lässt sich beobachten, dass sich die Blockchaintechnologie, über die in den letzten Jahren wegen der Kryptowährungen viel gesprochen wurde, auf zahlreiche breiter gefächerte Anwendungen ausweitet. Bis heute ist es uns insbesondere über unsere Schwesterfirma Wecan Comply gelungen, bei führenden Finanzakteuren, seien es Banken, External Asset Manager oder private Manager, grosses Interesse an der Technologie zu wecken, um auf einer gemeinsamen Plattform auf Basis der Blockchaintechnologie zusammenzuarbeiten.

 

Die Tokenisierung nutzt die gleiche Technologie und basiert auf dem Tausch von Besitztiteln über Vermögenswerte, die bereits auf dem Markt existieren und frei getauscht werden können, in diesem Fall entweder Immobilien, Immobilienanteile oder Immobilienfondsanteile. 
 

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind letztlich die Akzeptanz und die Nutzung der Technologie durch den Kunden oder den Endinvestor, die regulatorischen Herausforderungen durch Vorschriften, die sehr schnell und insbesondere in der Schweiz eingeführt werden, die es aber seit 10, 20, 30 oder 50 Jahren nicht mehr gibt. Demnach gibt es noch viel zu tun, um die Nuancen der Anwendung der Vorschriften für den Tausch von Token zu verstehen. Und ich würde sagen, dass es auch eine Herausforderung in Bezug auf den Ruf und die Aufklärung gibt.

Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass jemand, der in einen Immobilien-Token investiert, also einen digitalen Titel über ein Immobilienvermögen besitzt, nicht gleichzusetzen ist mit einem Investor, der in Kryptowährungen oder Bitcoin investiert. Auch die Schattierungen und Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Vermögenswerten im Bereich der Blockchain ist eine Herausforderung, weshalb Akteuren wie Wecan Tokenize oder Wecan Comply eine sehr wichtige Rolle zukommt: die der Aufklärung, Vereinfachung und Erklärung der verschiedenen Möglichkeiten, die Technologie zu nutzen.

 

Wie sehen Sie Investitionen durch Tokenisierung in den kommenden Jahren?

 

Meine Meinung und die von Wecan Tokenize und im weiteren Sinne auch die unserer Schwesterfirma Wecan Comply sowie alle Gespräche, die wir mit Finanzakteuren zu diesem Thema führen, bringen uns zu der Überzeugung, dass der Anteil der Tokenisierung beim Tausch von Besitztiteln, insbesondere im Immobilienbereich, in den nächsten Jahren drastisch wachsen wird. In den letzten zwei oder drei Jahren gab es erst einige Pilotprojekte und in den letzten Monaten dann grössere Projekte.

Insbesondere dem Projekt Wecan Tokenize ist es gelungen, fast fünfzehn Millionen Dollar in Investitionen über Token in Immobilienprojekte zu erwirtschaften. Die Akzeptanz wächst bei institutionellen Kunden, angefangen bei grossen Vermögensverwaltern, die unsere Kunden sind, Banken oder kleineren Unternehmen, die ebenfalls versuchen, die Vorteile dieser Technologie zu nutzen, um ihren Kunden mehr Dienstleistungen anzubieten.
 

Alle diese Akteure nutzen zunehmend diese Technologie, um einer grösseren Anzahl von Anlegern mehr Möglichkeiten zu geben, kleinere Beträge in Projekte zu investieren, was in der Regel bisher den professionellen oder institutionellen Anlegern vorbehalten war.

 

Wie steht es um die führenden Unternehmen in der Immobilienentwicklung und im Immobilien-Asset-Management?

 

Ich denke, dass in diesem Geschäftsfeld die führenden Unternehmen oder zumindest die Vorreiter, die den Einsatz der Technologie ausbauen wollen, von einer Phase des Entdeckens, des Verstehens und Untersuchens dieses Themas zu einer Phase des Umsetzens vieler Pilotprojekte übergegangen sind. Letztere haben sehr praktische und pragmatische Ziele für bereits bestehende Kunden, bei denen Probleme auftauchen, die sie mit der Tokenisierung zu lösen versuchen, aber auch mit anderen Methoden, wie Verbriefung, Tausch von Fondsanteilen, Fonds, die nicht unbedingt börsenkotiert sind, und das zwischen Einrichtungen, die im Allgemeinen ihre Anteile nicht tauschen.

 

Dabei denke ich zum Beispiel an Stiftungen auf dem Schweizer Markt. Es gibt eine ganze Reihe von Projekten, die sehr praktisch ausgerichtet sind und bei denen die Tokenisierung angewendet wird. Das trifft vielleicht noch nicht auf die meisten zu, und es geht auch noch nicht um Investitionsbeträge von wenigen Euro, aber auf jeden Fall sind wir weit von den Projekten von vor ein paar Jahren entfernt, als wir wirklich auf den «Proof of Concept» ohne wirklich praktische Anwendungen beschränkt waren. Heute würde ich sagen, dass die Tokenisierung sehr praktisch, sehr pragmatisch und immer stärker verbreitet ist und vor allem von Akteuren mit sehr unterschiedlichen Profilen genutzt ist.
 
 

Mathieu Saint-Cyr
Head of Asset Management and Fintech Solutions
Geneva Management Group
Interview geführt in Zusammenarbeit mit Wecan Groupe