Einfach nur den Energieverbrauch, aber keinen Aktionsplan zu veröffentlichen – das ist durchaus Greenwashing

13/09/2022

Olivier Toublan

Immoday

5 Min

 

Immobilieninvestmentfonds können heute keinen Jahresbericht mehr veröffentlichen, der kein Kapitel über die Einhaltung der ESG-Kriterien enthält. Doch ähneln diese Berichte allzu oft reinen Marketinginstrumenten und lassen keinen konkreten Willen erkennen, den Energieverbrauch des Immobilienbestands langfristig zu verbessern, meint Yannick Tinguely von Signa-Terre
 

Greenwashing kommt nicht mehr gut an. Das hat sich erst kürzlich wieder im Zuge zahlreicher Ermittlungen seitens der Finanzbehörden in grossen Finanzinstituten gezeigt.

Selbst die ganz Grossen der Branche werden nicht mehr verschont. Ende Mai durchsuchte die deutsche Justiz die Räumlichkeiten der Deutschen Bank und ihrer Tochtergesellschaft für Fondsverwaltung, dem Giganten DWS, wegen des Verdachts auf «Greenwashing» – was mittlerweile als Betrug angesehen werden könnte, der darauf abzielt, Investoren unrechtmässig anzulocken.
 

Gleichzeitig will die amerikanische Börsenaufsicht SEC die Transparenzpflichten in diesem Bereich für den gesamten Finanzsektor verschärfen. Wie Sébastien Ruche kürzlich in «Le Temps» in Erinnerung rief, «hatte die SEC in der Woche vor der Durchsuchung bei DWS dem Vermögensverwalter BNY Mellon eine Geldstrafe von 1,5 Millionen Dollar auferlegt, weil er fälschlicherweise behauptet hatte, dass alle seine Fonds durch den ESG-Filter gegangen seien». Parallel dazu wurden neue Richtlinien veröffentlicht, so der Journalist weiter. Unterm Strich heisst das, dass für die SEC von nun an «alle Behauptungen in Bezug auf Nachhaltigkeit nachweisbar sein müssen». Andernfalls drohen gesalzene Geldstrafen.

Und wie wir aus Erfahrung wissen, wird das, was die SEC heute beschliesst, morgen von den europäischen Börsenaufsichtsbehörden und übermorgen von der Schweiz beschlossen.

Wie also ist der Stand der Dinge in der Schweiz? Sébastien Ruche erinnert an die Empfehlungen der FINMA vom November 2021, die irreführende Werbung untersagen. Allerdings ohne Sanktionen für Verstösse zu benennen. Kurzum, Greenwashing ist derzeit zwar verboten, wird aber von den Schweizer Finanzbehörden nicht bestraft. Vor allem aber gibt es keine Vorschriften für Nachhaltigkeitslabels, auf deren Grundlage die Unternehmen ihren guten Willen zur Nachhaltigkeit beweisen können.
 

Die Rettung kommt vielleicht von den Anlegern, die ebenfalls immer öfter Greenwashing kritisieren. Von Anlegern, vor allem in indirekte Immobilienanlagen, für die Nachhaltigkeit zu einem wichtigen Kriterium bei der Investitionsentscheidung geworden ist. Kommt hinzu, dass sich inzwischen viele institutionelle Anleger weigern, in Immobilienfonds zu investieren, die keine echte ESG-Politik vorweisen können. Aber woher weiss man, ob diese Politik nur Marketing ist, um gut dazustehen, oder ob sie ernsthaft betrieben wird und die Nachhaltigkeit der Immobilienportfolios gewissenhaft und langfristig berücksichtigt? Wir haben Yannick Tinguely dazu befragt, Geschäftsführer Deutschschweiz von Signa-Terre, einer Beratungsfirma für Energiemanagement im Immobilienbereich.

 

Yannick Tinguely, im Immobiliensektor muss man, wenn man seine Nachhaltigkeit verbessern will und nicht nur neue Gebäude hat, energetische Renovationen vornehmen lassen. Doch diese Investitionen werden sich negativ auf die Rentabilität auswirken. Bremst das die Eigentümer?
 

Ganz ehrlich: Geld ist bei weitem nicht die stärkste Bremse bei Investitionen in die Renovation.

 

Was sind also dann die grössten Hindernisse?
 

Die sind vor allem gesetzgeberischer Natur. Das betrifft zum Beispiel alles, was mit dem Schutz des Kulturerbes zu tun hat, der unter anderem verbietet, die Gebäudehüllen bestimmter Gebäude anzutasten. In diesem Fall ist es schwierig, seine Energieeffizienz ernsthaft zu verbessern. Auch bei der öffentlichen Infrastruktur gibt es Probleme. In vielen Orten und selbst in den grossen Städten ist es schwierig, Fernwärme geliefert zu bekommen. Nicht zu vergessen all die Probleme mit Baubewilligungen und Einwänden. Wir hören jedenfalls häufig von Eigentümern, die gern loslegen oder ihre Renovation beschleunigen würden, aber von den Hürden, mit denen sie immer wieder konfrontiert werden, abgeschreckt werden. Ein weiteres Problem, mit dem wir sehr bald konfrontiert sein werden, ist der Mangel an Arbeitskräften im Bausektor. Diejenigen, die zuerst kommen, werden auch zuerst bedient.

 

Ich verstehe das, aber trotzdem: Die Kosten für die Renovationen werden eine niedrigere Rentabilität zur Folge haben, was zum Beispiel bei Immobilienfonds nicht unbedingt für Begeisterung sorgen dürfte.
 

Das ist in der Tat ein sensibles Thema, doch kann niemand die Auswirkungen solcher Investitionen auf die langfristigen Renditen klar abschätzen. Sicher ist aber, dass ein Gebäude, das nicht regelmässig renoviert wird, in 20 Jahren enorm an Eigenwert verloren haben wird – und das ist generell eine sehr schlechte Strategie für Immobilienanleger. Unsere Botschaft ist also klar: Nichts zu tun, ist unbestreitbar die schlechteste aller Strategien.

 

Lassen sich die Anleger von solchen Argumenten überzeugen?
 

Leider findet man noch nicht bei allen Anlegern ein konkretes Bewusstsein. Aber die Entwicklung geht in die richtige Richtung, und seit zwei oder drei Jahren, seit der Einführung der ESG-Kriterien, beschleunigen sich die Dinge zusehends. Die ESG-Kriterien wurden übrigens zunächst für den Finanzsektor und nicht für die Immobilienbranche entwickelt. Aber immerhin gibt es jetzt klare Kriterien, an denen man sich orientieren kann. Auch wenn das CO2-Gesetz im Juni 2021 vom Volk abgelehnt wurde, wird derzeit im Parlament eine neue Version diskutiert, und es ist ziemlich sicher, dass der Teil, der den Immobiliensektor zur Senkung des Energieverbrauchs verpflichtet, angenommen wird. Kurz gesagt, man sollte besser vorausschauend handeln als abzuwarten.

 

Werden wir konkret: Wie viele der Kunden, die Ihr ImmoLabel verwenden, das nur eine Aussage zum Energieverbrauch macht, gehen den nächsten Schritt und planen die Renovation?
 

Seit zwei Jahren beobachten wir einen echten Wandel. Inzwischen sind sich alle unsere Kunden der Bedeutung von Nachhaltigkeit bewusst und haben entweder bereits einen Plan verabschiedet, um bis 2050 CO2-neutral zu werden, oder sind gerade dabei, dies zu tun. Aber da gibt es eine leichte Verzerrung: Die Verwalter, die sich an uns gewandt haben, sind bereits überzeugt. Das ist leider bei vielen Immobilienanlegern in der Schweiz noch nicht der Fall. Diese ziehen es vor, nichts zu tun, solange es keine gesetzliche Verpflichtung gibt.

 

Das erklärt, warum Sie trotz der Bedeutung des Themas nach wie vor nur 70 bis 80 Kunden haben.
 

Viele Immobilienanleger reden heute über Nachhaltigkeit, ohne jedoch ins Detail zu gehen oder ihre Renovations- oder Investitionsstrategie zur Senkung ihres Energieverbrauchs zu erläutern. Sie begnügen sich mit einer allgemeinen CO2-Bilanz, wobei nicht immer klar ist, woher die Zahlen stammen, die sie veröffentlichen.

 

Dennoch versichern alle diese Fonds, alle diese Pensionskassen, dass sie ESG-Standards übernommen haben, die oft international anerkannt sind.
 

Das ist das, was man den Normendschungel nennt. Da es keine verbindlichen Vorschriften gibt, kann jeder veröffentlichen, was er will. Es kam sogar schon vor, dass sehr grosse Investoren ihren eigenen Standard und Umrechnungsfaktor für CO2 entwickelt haben. In der Tat geht aus den veröffentlichten CO2-Bilanzen nur sehr selten der erfasste Umfang heraus. Wurde hier nur die Wärmebilanz oder auch ein Anteil an Strom in die CO2-Bilanz einbezogen? Welche Norm wurde zugrundegelegt? Basieren die Zahlen auf einem tatsächlichen, gemessenen Verbrauch oder stammen sie aus einer auf Statistiken basierenden Benchmark? Letztendlich vergleichen sich die Eigentümer untereinander, ohne dieselben Standards zu verwenden.

 

Und Signa-Terre?
 

Wir arbeiten auf der Grundlage von SIA-Normen, KBOB-Faktoren und nur mit dem tatsächlichen Energieverbrauch, und zwar nach einem Verfahren, das derzeit von einem grossen Wirtschaftsprüfungsunternehmen zertifiziert wird.

 

Sind nicht letztendlich alle Standards gleichermassen glaubwürdig?
 

Einige sind sehr seriös, andere weniger. Die Wahrheit ist doch, dass viele dieser Standards ziemlich oberflächlich sind. Einige basieren nur auf Statistiken nach Baujahr und den Daten der letzten grossen Renovationen, ohne dass eine echte Überprüfung stattgefunden hätte. Zum Beispiel ob der von den Eigentümern angegebene Energieverbrauch mit dem tatsächlichen Verbrauch der Nutzer übereinstimmt.

 

Was demnach Greenwashing ist?
 

Ja, für mich ist es oft pures Marketing, ohne dass etwas Greifbares dahinter steckt. Es wird lediglich versichert, dass man in Sachen Energieverbrauch im grünen Bereich ist, aber das reicht nicht aus, wenn man nicht auch einen konkreten Aktionsplan hat, um seinen CO2-Fussabdruck in Zukunft zu verringern. Denn alle Fachleute wissen, dass es unmöglich sein wird, die Ziele der CO2-Neutralität in weniger als 30 Jahren zu erreichen, wenn wir nicht jetzt schon einen solchen Plan erstellen.

 

Ist das so?
 

Die Rechnung ist ganz einfach. In der Schweiz liegt die Renovationsquote für Gebäude derzeit bei 1 %. Sie müsste dreimal so hoch sein, um den Schweizer Gebäudebestand auf den neuesten Stand zu bringen und die Ziele für 2050 zu erreichen. Das ist bekannt, aber dennoch gehen die Renovationen nicht schneller voran. Ich weiss nicht, wie ein Eigentümer, der einen grossen Gebäudebestand, aber noch keinen Aktionsplan hat, so etwas in der vorgegebenen Zeit schaffen will.

 

Woher soll man wissen, ob ein Investor, der erklärt, dass ESG-Kriterien für ihn wichtig sind, auch wirklich seriös ist?
 

Das lässt sich sehr einfach herausfinden: Rufen Sie beim Fonds oder bei der Pensionskasse an und fragen Sie nach der Person, die für die Nachhaltigkeit zuständig ist. Sie werden feststellen, dass in der Regel niemand auf hoher Ebene direkt mit diesem Thema betraut ist – und das ist ziemlich aufschlussreich. Immer mehr grosse Eigentümer stellen Spezialisten für nachhaltige Entwicklung ein, aber das ist längst nicht bei allen der Fall. Wir haben es immer noch zu oft mit Leuten aus der Finanzwelt zu tun, und die befassen sich nicht mit Nachhaltigkeit.

 

Yannick Tinguely

Geschäftsführer Deutschschweiz / Directeur Suisse allemande


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Olivier Toublan für Immoday