Kohlenstoffneutralität bis 2050? Möglich, aber nicht einfach

17/05/2023

Immoday

Olivier Toublan

4 Min

Es ist bekannt, dass die Schweizer Immobilienbranche bis 2050 CO2-neutral werden muss. Laut einer aktuellen Analyse der Credit Suisse wurden bereits verschiedene Massnahmen ergriffen, und das Ziel ist auch erreichbar – aber es wird nicht einfach sein. Nach wie vor gibt es viele Hindernisse, und wahrscheinlich müssen die gesetzlichen Vorschriften verschärft werden.


Wie steht es um das Null-Kohlenstoff-Ziel für 2050, das der Bund beschlossen hatte? In der Immobilienbranche sind viele der Meinung, dass dieses Ziel unmöglich erreicht werden kann, vor allem bei einem so alten Gebäudebestand wie in der Schweiz. Ebenso ist es unwahrscheinlich, dass Bern seine Ziele ändern wird, die im Moment darin bestehen, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null zu senken. Mit einem Zwischenschritt, der vorsieht, die Emissionen bis 2030 um 50 % im Vergleich zum Stand von 1990 zu senken. Das heisst bis morgen, und das für einen Gebäudebestand, der mit einem Anteil von 23,9 % nach dem Verkehr (31,6 %) und der Industrie (24,8 %) der drittgrösste Treibhausgasemittent in der Schweiz ist.

 

Es ist, wie es ist: Wohnungseigentümer müssen handeln
 

Kurzum, die Immobilienbranche steht an vorderster Front, und den Eigentümern wird nichts anderes übrig bleiben, als zu handeln.
 

Wie die Experten der Credit Suisse, die kürzlich eine Studie zu diesem Thema veröffentlicht haben, betonen, sind Wohngebäude für mehr als zwei Drittel der Emissionen des Immobiliensektors verantwortlich, was hauptsächlich auf die Beheizung mit fossilen Brennstoffen und die Warmwasserbereitung zurückzuführen ist. «Die Reduzierung der Gebäudeemissionen ist daher entscheidend für die Hoffnung, klimaneutral zu werden, und dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn der Energieverbrauch massiv gesenkt und auf fossile Brennstoffe verzichtet wird.» Nicht zu vergessen die Förderung einer Kreislaufwirtschaft und die Minimierung des Verbrauchs an grauer Energie beim Bau und Abriss von Gebäuden.

 

Bei Neubauten ist alles in Ordnung

 

Die Experten der Bank beginnen ihre Analyse mit neuen Immobilien, die grösstenteils bereits strengen Nachhaltigkeitskriterien entsprechen. Tatsächlich kommen die Heizungen vieler Ein- und Mehrfamilienhäuser, die im letzten Jahrzehnt gebaut wurden, bereits ohne fossile Energieträger aus. Und diese Entwicklung habe sich in den letzten Jahren aufgrund der strengeren gesetzlichen Bestimmungen noch verstärkt, erläutert Credit Suisse.
 

Einige Zahlen: Im Jahr 2022 nutzten 97 % der Einfamilienhäuser und 96 % der Wohnungen in Mehrfamilienhäusern, für die eine Baubewilligung erteilt wurde, keine fossilen Brennstoffe mehr. Zudem sind heute die meisten Einfamilienhäuser mit Wärmepumpen ausgestattet (90,4 %).  Und in den Mehrfamilienhäusern, in denen keine Wärmepumpen eingesetzt werden (77 %), wird häufig Fernwärmesystemen der Vorzug gegeben (18 %). Die Experten der Credit Suisse sind sich sicher: «Das wachsende Umweltbewusstsein und die stark steigenden Preise für fossile Energieträger werden wohl bald dazu führen, dass Öl- und Gasheizungen aus Neubauten verschwinden – abgesehen von einigen Ausnahmen, die technische oder gesetzliche Gründe haben.»

 

Mit Altbauten ist es schwieriger

 

Bei neuen Immobilien scheint die Sache also klar zu sein: Die Ziele der CO2-Neutralität bis 2050 können leicht erreicht werden. Doch bei Altbauten sieht die Sache anders aus. Zumal die Gebäude in der Schweiz von guter Qualität sind, regelmässig gewartet werden und oft eine Lebensdauer von über 100 Jahren haben. Da die Lebensdauer einer Heizung in der Regel nur 15 bis 25 Jahre beträgt, könnte ihre Renovation bis 2050 vorgenommen werden. Dagegen kann die Lebensdauer von Fassaden, Fenstern und Dächern, die, wie die Experten von Credit Suisse betonen, für die Nachhaltigkeit eines Gebäudes von entscheidender Bedeutung sind, jedoch leicht über 30 Jahre und sogar bis zu 50 Jahre betragen. Und hier liegt das Problem.
 

Denn aufgrund der hohen Abschreibungskosten, die bei einem vorzeitigen Austausch anfallen, werden Renovationen dieser Gebäudeteile nur selten früher als nötig durchgeführt. Und die staatlichen Subventionsprogramme genügen nicht, um Eigentümer davon zu überzeugen, das Tempo anzuziehen, erklärt die Credit Suisse.

 

Lückenhafte Energiedaten in der Schweiz

 

Darüber hinaus kennt niemand den energetischen Zustand der Gebäude in der Schweiz wirklich. Derzeit stehen mit Ausnahme bei den Heizsystemen keine wirklich aktuellen Daten über den Umfang der durchgeführten Renovationen zur Verfügung, so die Experten der Credit Suisse. Die Informationen aus dem Eidgenössischen Gebäude- und Wohnungsregister (GWR) stammen hauptsächlich aus der Volkszählung von 2000. Wenn man jetzt eine durchschnittliche Lebensdauer von 15 bis 25 Jahren zu Grunde legt, dürften bereits viele der mit fossilen Brennstoffen betriebenen Heizungen durch nachhaltigere Systeme wie Wärmepumpen oder Fernwärme ersetzt worden sein. Diese nachhaltigeren Systeme würden nach Schätzungen der Credit Suisse heute ein knappes Drittel der Altbauten in der Schweiz betreffen.

 

Politische Prozesse, die viel zu komplex sind

 

Wie gewohnt ist es in der Schweiz manchmal schwierig, die anwendbaren Bestimmungen zur Optimierung des Energieverbrauchs von Gebäuden in die kantonalen Gesetze zu übertragen. Und da jeder Kanton autonom entscheidet, ist die Kohärenz nicht immer gegeben.
 

So ist es beispielsweise im Kanton Zürich seit September 2022 verboten, eine Ölheizung durch eine neue zu ersetzen, auch in alten Gebäuden. Im benachbarten Kanton Aargau ist das aber noch erlaubt.
 

Doch «strengere gesetzliche Bestimmungen und steigende Preise für fossile Brennstoffe haben den Ersatz konventioneller Heizsysteme durch nachhaltige Lösungen stark beschleunigt, und dieser Trend dürfte sich in den kommenden Jahren noch verstärken», denken die Experten der Credit Suisse.

Allerdings gibt es ein Problem: Auch die Baubranche hat ihre Kapazitätsgrenzen. Im Jahr 2022 betrug die Wartezeit für eine Wärmepumpe, die zumindest in Einfamilienhäusern die bevorzugte Lösung für nachhaltige Energieerzeugung geworden ist, mehr als ein Jahr!

 

Fast keine fossilen Energien mehr im Jahr 2050 – wenn wir uns beeilen!

 

Das Bundesamt für Energie schätzt, dass bis 2050 nur noch 6 % der Wohnungen mit Gas und 1 % mit Öl beheizt werden, und zwar hauptsächlich in Gebäuden, in denen es sich als unmöglich erwiesen hat, eine Wärmepumpe oder eine Fernwärmelösung zu integrieren.
 

Mit anderen Worten: Wenn man diesen Schätzungen Glauben schenkt, dürfte das Ziel eines Wohnungsbestands ohne Treibhausgasemissionen bis 2050 fast erreicht werden. «Die Emissionen von Wohnungen in CO2-Äquivalenten werden im Jahr 2050 bei 0,22 kg pro m2 Energiebezugsfläche liegen. Und da bis 2060 wahrscheinlich auch die letzten Ölheizungen verschwunden sein werden, dürften die Emissionen danach auf fast null (0,03 kg/m2) sinken», schätzen die Experten der Credit Suisse.
 

Sie weisen jedoch darauf hin, dass dieses Ziel ehrgeizig ist und einen schnelleren Austausch der Heizsysteme erfordert. Und zwar drastisch, denn im Vergleich zum Jahr 2021 müsste der jährliche Verkauf von Wärmepumpen bis 2027 um 69 % steigen. «Wenn wir das Niveau von 2022 beibehalten, werden die fossil betriebenen Heizungen unseren Schätzungen zufolge erst 2063 aus den Wohngebäuden verschwunden sein.»

 

Bei den Zielen für 2030 wird es komplizierter
 

Scheinen die Nachhaltigkeitsziele für 2050 realistisch zu sein, sieht es bei den Zwischenzielen für 2030 anders aus. Diese zu erreichen, dürfte sich als wesentlich komplizierter erweisen, sagen die Experten der Credit Suisse. «Die grössten Hindernisse sind hier die begrenzten Kapazitäten der Baubranche aufgrund des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften und der langen Lieferzeiten für verschiedene Elemente.» Und obwohl die jüngsten Zahlen von einem beeindruckenden Wachstum zeugen, wird dieses wahrscheinlich nicht ausreichen, um die Ziele für 2030 zu erreichen.
 

Dafür sind zusätzliche Anstrengungen unerlässlich, insbesondere um die energetische Renovation von Fassaden, Dächern und Fenstern zu beschleunigen. Doch wie können Eigentümer davon überzeugt werden, diese Anstrengungen zu unternehmen? Für die Experten der Credit Suisse ist die Sache klar: «Angesichts des bescheidenen Erfolgs von Sparbemühungen und freiwilligen Kompensationen, wie der CO2-Kompensation für Flugreisen, wird es wohl notwendig sein, den regulatorischen Druck zu verstärken und den Preis für fossile Energien direkt über eine CO2-Steuer zu erhöhen.»
 

 

Olivier Toublan, Immoday