«Es liegt ein grosses Potenzial in der Aufstockung von Gebäuden»

11/10/2022

Olivier Toublan

Immoday

5 Min

 

In einem Immobilienumfeld mit stetig steigenden Preisen können Eigentümer von Wohngebäuden in grossen städtischen Zentren durch eine Aufstockung oft eine höhere Rendite als durch den Kauf eines Neubaus erzielen.
 

In den letzten Jahren wurden in allen grossen Städten der Schweiz und insbesondere in Genf, das in diesem Bereich eine Vorreiterrolle einnimmt, vermehrt Aufstockungen vorgenommen.  Auch wenn das Potenzial gross ist, sind die Renditen wie überall rückläufig, da die Projekte immer komplexer werden.

 

Für eine Bestandsaufnahme haben wir Michel Strazza befragt, Architekt, CEO und Leiter Entwicklung bei Kheops, einem Generalunternehmen, das sich auf die Renovation und den Umbau von Gebäuden spezialisiert hat und das zwei Dutzend Aufstockungen in den letzten Jahren zu seinen Projektrealisierungen zählt.

 

Michel Strazza, wie war es Ihnen möglich, im Kanton Genf diese Gebäudeaufstockungen durchzuführen? 

 

Eigentlich hat es in Genf schon immer Aufstockungen gegeben, man muss in der Stadt nur den Blick nach oben richten, um das schnell festzustellen. In jüngerer Vergangenheit, im Jahr 2009, gab es eine Änderung des kantonalen Gesetzes über die Häusermasse, die Aufstockungen in der Regel um zwei Stockwerke bei alten Gebäuden erlaubt hat. Daraus ergab sich laut den damaligen Studien der Verwaltung ein Potenzial von 2000 bis 3000 neuen Wohnungen.

 

Ein Potenzial, das bis heute, 13 Jahre später, vollständig ausgeschöpft wurde? 
 

Ich würde sagen, dass wir bisher 50 % dessen, was möglich ist, genutzt haben. Natürlich waren es die einfachsten 50 %, was dazu führte, dass die Aufstockungsprojekte ab da komplexer wurden.

 

Aber das Potenzial ist noch nicht ausgeschöpft? 
 

Keineswegs. Aber es dauert einfach länger.

 

Wer sind die Antragsteller? Wie kann man Hauseigentümer überzeugen? 
 

Vor etwa zehn Jahren haben wir eine Reihe von Machbarkeitsstudien durchgeführt und sind damit zu den Eigentümern gegangen, was uns mehrere Aufträge eingebracht hat. Heute kommen die Kunden eher zu uns, denn sie wissen, dass wir viel Erfahrung mit Aufstockungen haben, da wir bereits 25 Projekte beaufsichtigt haben.

 

Wenn ein Eigentümer interessiert ist und Ihnen einen Auftrag erteilt, wie geht es dann weiter? 
 

Wir erstellen zunächst eine Machbarkeitsstudie und reichen eine Voranfrage bei der Verwaltung ein. So erfahren wir, ob und unter welchen Bedingungen das Projekt von der Abteilung bewilligt wird.

 

Was passiert, wenn die Voranfrage abgelehnt wird? 
 

Wenn die Ablehnung endgültig ist, ist das Projekt damit beendet. In den meisten Fällen können wir die Anfrage jedoch entsprechend den Anmerkungen der Behörden anpassen und eine neue stellen.

 

Dauert es lange, bis man die endgültige Bewilligung erhält? 
 

Wir rechnen mit neun Monaten bis zu einem Jahr, wohl wissend, dass sich in den letzten Jahren einige Vorschriften in Genf geändert haben und es schwieriger geworden ist, eine Bewilligung zu erhalten.

 

Das heisst? 
 

Im Groben und Ganzen verlangt die Verwaltung heute aus praktischen und ästhetischen Gründen, dass wir eine Gesamtübersicht des Projekts einreichen, nicht nur in Bezug auf das Gebäude, an dem wir arbeiten, sondern auch in Bezug auf die benachbarten Gebäude oder sogar auf einen ganzen Häuserblock. Im Übrigen sieht es die Verwaltung inzwischen lieber, wenn Aufstockungen in dem gesamten Block gleichzeitig erfolgen. Das bedeutet, dass im Vorfeld lange Gespräche mit den verschiedenen Eigentümern geführt werden müssen, die nicht alle dieselben Interessen und Forderungen haben. Eine Einigung unter den Beteiligten zu erzielen, dauert oft länger als das Einholen der offiziellen Bewilligungen.

 

Was ist den Genfer Behörden im Hinblick auf die Architektur lieber – dass die Aufstockung mit der Umgebung verschmilzt oder dass sie sich von der bestehenden Bebauung abhebt? 
 

Heute zieht man im Allgemeinen Aufstockungen vor, die so diskret wie möglich sind, auch wenn die Verwaltung ein Projekt mit einer markanten Architektur durchaus akzeptiert. Bei den letzten zwei Aufstockungen, die wir in Champel durchgeführt haben, haben wir zum Beispiel einfach die Architektur der unteren Stockwerke nachgebildet. Zugegeben, das ist vielleicht Copy-and-paste, aber es ist praktisch unsichtbar.
 

 

Gibt es viel Gegenwind bei einer Aufstockung? 
 

Nicht mehr und nicht weniger als beim Bau eines neuen Gebäudes. Sobald die Baubewilligung erteilt wurde, gibt es eine 30-tägige Einspruchsfrist. Das ist bei einem Neubau oder einer Aufstockung identisch. Was die Leute am meisten stört, ist eine monatelange Baustelle über ihrem Kopf, denn auch wenn wir versuchen, die Belästigungen so gering wie möglich zu halten, gibt es immer welche.

 

Die meisten Aufstockungen finden in historischen Innenstädten statt. Gibt es systematischen Widerstand von Vereinigungen wie dem Schweizer Heimatschutz?  
 

Nur wenn diese Vereinigungen zum Schutz des Kulturerbes der Meinung sind, dass die Aufstockung das Gebäude verfälschen würde. Es gab aber auch mal eine Zeit, in der sich die Stadt Genf systematisch gegen alle Projekte sträubte. Dies ist glücklicherweise nicht mehr der Fall, auch wenn das Thema in der Stadt Genf nach wie vor heikel ist.

 

Wie lange dauert der Bau einer Aufstockung?  
 

In der Regel zwischen 12 und 18 Monaten, aber natürlich ist jeder Fall anders. Es geht schneller, wenn wir vorgefertigte Module verwenden können, und langsamer, wenn wir auch die Gebäudestruktur verstärken oder sogar noch Anpassungsarbeiten vornehmen müssen.

 

Was kostet eine solche Aufstockung?  
 

Auch hier hängt alles von der Komplexität der Arbeiten ab, wobei die Kosten in die Höhe schnellen können, wenn wir Strukturen verstärken und das Gebäude den Vorschriften anpassen müssen.

 

Sind diese Zusatzkosten manchmal Grund genug, um ein Aufstockungsvorhaben fallen zu lassen?  
 

Das ist wirklich manchmal der Fall, vor allem wenn es unmöglich ist, die Kosten der Arbeiten auf die Mieten umzulegen, die ohnehin schon an der Obergrenze liegen. Andererseits ist eine Aufstockung auch eine gute Gelegenheit, das Gebäude auf den neuesten Stand zu bringen, eine Gelegenheit, die von einigen Eigentümern genutzt wird.

 

Ist es in extremen Fällen nicht manchmal einfacher, ein Gebäude abzureissen und wieder aufzubauen? 
 

Das trifft tatsächlich auf einige Gebäude aus den Siebzigerjahren zu, die schnell und mit minderwertigen Materialien gebaut wurden und das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben. Hier kostet es manchmal weniger, das Gebäude abzureissen und neu zu bauen, anstatt ein oder zwei Stockwerke aufzustocken und alles auf den neuesten Stand zu bringen. Auch wenn es viel länger dauert, da alle Mietverträge gekündigt und der Auszug aller Mieter abgewartet werden müssen.

 

Bei einer Aufstockung verbleiben die Mieter aber im Gebäude? 
 

In 99 % der Fälle ja. Wenn jedoch ausnahmsweise ein fester Kran benötigt wird, muss aus Sicherheitsgründen die oberste Etage des Gebäudes geräumt werden. Da wir uns aber im Stadtzentrum von Genf befinden und ein fester Kran sehr viel Platz braucht, kommt so etwas eher selten vor.

 

Können Mieter, die im Gebäude bleiben, eine Mietsenkung verlangen? 
 

Natürlich, und es gibt offizielle Reduktionssätze, die der Dauer und der Belästigung durch die Arbeiten angemessen sind.

 

Bei diesen Kosten und Einnahmeverlusten stellt sich am Ende die Frage, ob sich eine Aufstockung überhaupt lohnt. 
 

Vor einigen Jahren konnte man mit den einfachsten Projekten eine Rendite von 5 bis 5,5 % erzielen. Diese ist inzwischen auf 3,5 bis 4 % gesunken. In der aktuellen Situation ist es für Hauseigentümer also immer noch attraktiv.

 

Das ist in der Tat immer noch eine höhere Rendite als beim Kauf eines Gebäudes im Stadtzentrum von Genf. Warum werden unter diesen Umständen nicht öfter Aufstockungen vorgenommen? 
 

Wie ich bereits sagte, sind Baubewilligungen schwer zu erhalten, in anderen Fällen wollen die Eigentümer keinen Ärger mit den Mietern und manchmal sind die Kosten für eine normgerechte Modernisierung, die eine Aufstockung mit sich bringt, zu hoch, sodass der Eigentümer auf das Projekt verzichtet.
 

Olivier Toublan, Immoday