Was sind die wirklichen sozialen Anliegen der grossen Immobilienakteure?

30/01/2023

Olivier Toublan

Immoday

5 Min

Heutzutage will jeder die ESG-Kriterien einhalten, die zu einem der wichtigsten Anliegen aller Akteure des Immobiliensektors geworden sind. Das Problem ist, dass diese Kriterien noch nicht standardisiert sind und man sich oft an der Grenze zum Greenwashing bewegt. Aber es findet ein Umdenken statt. 

 

Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Immobilien sind gezwungenermassen zu einem zentralen Anliegen der gesamten Branche geworden. In einer weltweiten Umfrage gaben 93 % der führenden Immobilienunternehmen an, dass die Einhaltung der ESG-Kriterien mittlerweile für den Erfolg ihrer Unternehmen entscheidend ist und in den kommenden Jahren in dieser sich wandelnden Branche noch wichtiger werden wird. Die grösste Herausforderung für fast 90 % der Befragten besteht darin, die sozialen Auswirkungen zu bewältigen und gleichzeitig die Rendite zu halten.
 

Zu diesem Schluss kommt zumindest die Beratungsfirma PwC in ihrer neuesten Studie über die neuen Trends in der Immobilienbranche («Emerging Trends in Real Estate»), für die sie mehrere hundert Entscheidungsträger aus aller Welt befragt hat.

 

Nicht nur E, sondern auch S sein 
 

Aber was bedeutet soziale und ökologische Verantwortung der Immobilienbranche konkret? Natürlich bedeutet es zunächst die Reduzierung des CO2Ausstosses und eine bessere Nachhaltigkeit von Immobilien. Nutzung erneuerbarer Energien, Renovationen, neue Bauweisen – die Lösungen sind bekannt und beginnen sich zumindest in einigen westlichen Ländern durchzusetzen. Jeder kennt die Problematik, weshalb wir an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen müssen.
 

Allerdings genügt es nicht, sich auf das «E» in ESG zu beschränken. Für die von PwC befragten Personen ist auch das «S», die soziale Auswirkung, wichtig. Aber was kann man konkret tun, um nicht nur E, sondern auch S oder sogar G zu sein?
 

Zunächst, so die Befragten, die Schaffung besserer Gemeinschaftsräume für die Bewohner, dann der Zugang zu günstigem Wohnraum – beides Aspekte, die Immobilien als Teil der sozialen Infrastruktur betrachten, die für eine gesunde Stadt oder Nachbarschaft unerlässlich ist, gefolgt von der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Unterstützung lokaler Unternehmen.
 

Dabei muss berücksichtigt werden, dass die sozialen Auswirkungen von Immobilien nicht nur den Wohnort, sondern auch den Arbeitsplatz und die verschiedenen Geschäftsstandorte betreffen.  Die Experten von PwC hoffen, «dass die neuen Immobilien Interaktion und Kreativität fördern, indem Gebäude mit mehreren Nutzungsmöglichkeiten entstehen, die das Engagement der Gemeinschaft fördern und so die Chancen auf einen langfristigen Geschäftserfolg erhöhen».
 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Umfrage nach der Faktor «S» für die Akteure der Branche in den letzten Jahren zweifellos an Bedeutung gewonnen hat. Sie sehen darin eine Möglichkeit, den Bedürfnissen ihrer Kunden, den Mietern und der Gemeinschaft, der sie angehören, besser gerecht zu werden.

 

Nicht alle Investoren sind überzeugt  
 

So viel zu den guten Absichten. Doch wirft man einen Blick auf die Zahlen, wird dieser «S»-Faktor leider noch nicht als wesentlich angesehen, so wichtig er auch ist. Das dürfte er aber in den kommenden Jahren werden, wenn man den Antworten auf die Umfrage Glauben schenkt. «Es geht langsam voran, aber die Antworten sind ermutigend», versichern die Experten von PwC. 
 

Trotzdem geben einige Befragte zu, dass sie nicht vollständig von den Vorteilen solcher sozialen Investitionen überzeugt sind, insbesondere wenn diese nur kleine Projekte betreffen.
 

Dennoch gewinnt das Thema immer mehr an Bedeutung. Die Experten von PwC verweisen zum Beispiel auf die Themen Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion. Im vergangenen Jahr interessierte sich nur ein gutes Drittel der Befragten für diese Themen, dieses Jahr halten sie 50 % für wichtig. Auch wenn darauf nicht immer konkrete Taten folgen, insbesondere im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld, das sich deutlich verschlechtert hat, ist zumindest ein Bewusstsein dafür vorhanden. 

 

Und nicht zu vergessen: das G 
 

Schliesslich darf auch das «G», die Governance, nicht vergessen werden. Für die befragten Manager bedeutet diese interne Governance vor allem eine Förderung der Diversität in ihren Unternehmen. 
 

Ihrer Meinung nach gibt es im Immobiliensektor nicht nur Bedarf an Experten und hochqualifiziertem Personal, sondern zunehmend auch an Vielfalt. Und dieser Bedarf wird in den nächsten Jahren noch weiter steigen.
 

Die Herausforderung besteht nun darin, so die Experten von PwC, über diese lobenswerten Ambitionen hinauszugehen und sie durch Massnahmen zu konkretisieren – alles andere wäre nur Greenwashing. Diese Konkretisierung ist jedoch im derzeitigen wirtschaftlichen Umfeld schwierig geworden, denn von dem Problem unter anderem der Energiekosten sind alle europäischen Haushalte betroffen. Und damit auch alle Immobilienbesitzer, egal ob privat oder institutionell.
 

Darüber hinaus werden die steigenden Bau- und Materialpreise von vielen als neue Hürde angesehen, die es zu überwinden gilt, wenn man die schönen Versprechen der ESG-Kriterien einhalten will.

 

Wir brauchen Kriterien, die von allen akzeptiert werden 
 

Ein weiteres Problem bei der Einhaltung der ESG-Auflagen ist die Festlegung von Kriterien, die von allen akzeptiert werden. Beim Energieverbrauch ist das Problem längst gelöst, auch wenn es immer noch einen Krieg zwischen den verschiedenen Labels gibt. 
 

In Bezug auf die soziale Wirkung gibt es hingegen noch keine globalen Kriterien, ausser, wie die Experten von PwC anmerken, das der günstigen Miete.
 

Für ihre Durchsetzung könnte eine staatliche Massnahme sinnvoll sein, auch wenn dies nicht immer eine Garantie für Erfolg ist. In Städten beispielsweise, in denen die Vorschriften ein Minimum an Wohnungen mit günstigen Mieten in jedem neuen Bauprojekt vorschreiben, schreckt dies oftmals die Bauunternehmer ab, gibt PwC zu Bedenken. 
 

Was die Zufriedenheit mit privaten Initiativen angeht, so stellen diese zugegebenermassen auch kein Allheilmittel dar. Und auch das Kriterium der günstigen Mieten steht bei den Immobilienentwicklern oft nicht sehr weit oben auf ihrer Prioritätenliste in puncto soziale Verantwortung. Zumal, erinnern die Experten von PwC, Entwickler manchmal etwas heuchlerisch sind, wenn es keine staatliche Regulierung gibt: Der Anspruch der finanziellen Rentabilität hat trotz aller schönen Worte oft Vorrang vor der sozialen Verantwortung. 
 

Dennoch, so die Schlussfolgerung von PwC, haben sich die Prioritäten der Immobilienbranche in den letzten Jahren geändert. Das Bild der herzlosen Eigentümer, denen das Wohlergehen ihrer Mieter gleichgültig ist, ist heute nicht mehr gültig. Aber auch wenn die Branche auf dem richtigen Weg zu sein scheint, ist der Weg zu einer echten sozialen und ökologischen Verantwortung der Immobilienbranche noch weit.
 

Olivier Toublan, Immoday