Wie lässt sich der «grüne Wert» eines Gebäudes bestimmen?

27/04/2023

Olivier Toublan

Immoday

6 Min

Wie bewertet man ein renoviertes Gebäude im Vergleich zu einem überalterten Gebäude? Wie lässt sich dieser «grüne Wert» mit Genauigkeit bestimmen? Diese Frage beschäftigt die Experten für Immobilienbewertung in der Schweiz, doch es fehlt ihnen noch ein Instrument, das einen Konsens schafft. Um eine Antwort darauf zu finden, entwickelt derzeit eine Arbeitsgruppe ein Modell zur Schätzung des grünen Wertes. 

 

Alle Fachleute wissen, dass die Nachhaltigkeit eines Gebäudes heute nicht mehr nur optional ist. Die regulatorischen, gesetzlichen und finanziellen Zwänge – der Druck seitens der Anleger – summieren sich. Dabei müssen Eigentümer eine Reihe von Risiken berücksichtigen: zum Beispiel die Volatilität der Energie- und Materialpreise, die Ressourcenknappheit, die Entwicklung der CO2-Steuern oder die gesetzlichen Änderungen, die bei den Themen Nachhaltigkeit und Einhaltung der ESG-Standards zu immer grösseren Einschränkungen führen.
 

Zwar sind die vorgegebenen Ziele allseits bekannt – CO2Neutralität bis 2050 –, und man weiss im Grossen und Ganzen auch, wie die Kosten für die Verbesserung der Nachhaltigkeit eines Gebäudes abzuschätzen sind, doch wie kann man dessen «grünen Wert» bestimmen? Eine wichtige Frage. Die jene Experten beschäftigt, die regelmässig den Schweizer Immobilienbestand bewerten. Wie lässt sich der Mehrwert einer Renovation wirklich bestimmen? Wie bewertet man ein renoviertes Gebäude im Vergleich zu einem überalterten Gebäude?

 

Neues Instrument zur Bewertung in Arbeit 
 

Zwar existieren mittlerweile verschiedene Labels, die das Niveau der Energieeffizienz vor und nach der Renovation bestimmen, aber für die Bewertung dieser Objekte gibt es weder klare Regeln noch eine unbestrittene Methode zur Quantifizierung der Wertdifferenz. «Kurz gesagt, es gibt keinen Konsens», bedauert Alexia Gillard, Co-Direktorin von Khephren, einem Unternehmen, das digitale Lösungen für das Management von Immobilienbeständen anbietet. Und doch brauchen die verschiedenen Akteure der Branche Instrumente, um den Wert überalterter Gebäude im Vergleich zu energetisch renovierten Gebäuden auf sinnvolle Weise zu bestimmen.
 

Ein solches Instrument könnte schon bald zur Verfügung stehen: Auf Initiative von Khephren und Signa-Terre, einem Beratungsunternehmen, das auf die Bewertung der Nachhaltigkeit von Immobilien spezialisiert ist, hat sich eine Arbeitsgruppe aus privaten Akteuren und akademischen Organisationen organisiert, um ein Modell zur Bewertung des grünen Wertes von Immobilien in der Schweiz zu entwickeln. Diese Studie wird in Partnerschaft mit der UNIL, dem IMD und der EPFL durchgeführt und soll zwei Jahre dauern.

 

Die besondere Verantwortung der Immobilienbranche 
 

In der Zwischenzeit hat sich eine Handvoll Experten zusammengefunden, um das Thema auf der RENT SWITZERLAND 2023, die Ende März stattfand, zu erörtern.  
 

Zu ihnen gehört Jean-Pierre Danthine, Generaldirektor des «Enterprise for Society Center» und ordentlicher Professor an der EPFL, aber auch ehemalige Nummer zwei der Nationalbank. Für ihn stellt sich die Frage gar nicht mehr: Wir als Gesellschaft müssen unsere CO2-Emissionen aufgrund ihrer Auswirkungen auf den Klimawandel senken. In diesem Zusammenhang befinden sich jedoch nicht alle Wirtschaftssektoren in der gleichen Lage. Für einige Branchen gibt es noch keine technische Lösung, um dieses Ergebnis zu erreichen, wie z. B. der Flugverkehr. Und es gibt Branchen, in denen zwar Lösungen existieren, die aber sehr, zu teuer sind, was zu einem Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie führt. 
 

Glücklicherweise gibt es auch Bereiche, in denen Ökonomie und Ökologie zusammenlaufen und in denen sich die Lösungen für einen niedrigeren CO2-Ausstoss als weniger teuer erweisen als die, die derzeit verwendet werden, jedoch sehr umweltschädlich sind. Einer dieser Bereiche, in denen es zu einer Konvergenz kommt, ist der Immobiliensektor. Was eine gute Nachricht ist, denn dieser Sektor zählt in allen Ländern zu den grössten CO2-Emittenten. Er trägt daher eine besondere Verantwortung.
 

  

Welchen Mehrwert bieten nachhaltige Immobilien?
 

Unter diesem Gesichtspunkt ist eine transparente Analyse des Sektors unumgänglich, wenn der Übergang so schnell wie möglich vollzogen werden soll. Was nicht heisst, dass es einfach sein wird. Wie also können Investoren überzeugt werden?  Bekanntlich besteht das Problem im Immobilienbereich darin, dass Nachhaltigkeit anfangs höhere Investitionen erfordert, die sich nur langfristig auszahlen. 
 

Deshalb müsse man ein Mittel finden, diese Investitionen zu dem Zeitpunkt zu bewerten, in dem sie getätigt werden, so dass Finanziers unmittelbar erkennen können, welcher Mehrwert sich daraus ergibt, erläutert Olivier Meile, Leiter der MINERGIE-Agentur Romandie. Den es gibt, wie zahlreiche Studien bereits belegt haben. Die Zürcher Kantonalbank beispielsweise schätzte, dass der Wiederverkaufswert eines Minergie-Gebäudes um bis zu 7 % steigen würde. Diese Gebäude konnten um 3 % höhere Mieten berechnen.
 

Doch das Problem ist, dass es zwar bereits Berechnungsmethoden gibt, mit denen versucht wird, diese langfristigen Vorteile zu quantifizieren, aber noch kein Konsens über sie besteht. Aus diesem Grund ist das von Khephren und Signa-Terre diese Forschungsarbeit so wichtig. Es soll bestätigen können, dass es auf dem Schweizer Immobilienmarkt einen bedeutenden Mehrwert für nachhaltige Gebäude gibt. Ergebnisse, die zu einem echten Motor für die Beschleunigung nachhaltiger Investitionen in Immobilien werden könnten.

 

Die Lücke zwischen ökologischen und ökonomischen Investitionen wird geschlossen
 

Diese Ergebnisse könnten dazu beitragen, die derzeit noch bestehende Lücke zwischen ökologischen und ökonomischen Investitionen zu schliessen, denkt Catherine Corremans, Forschungsbeauftragte am Enterprise for Society Center der Universität Lausanne. Eine Lücke, die ihrer Meinung nach im Immobiliensektor nicht mehr existieren sollte. Denn in diesem Sektor werden langfristige Investitionen getätigt, und wie bei jeder Investition wird versucht, die Risiken und damit die Unsicherheiten zu minimieren.  Eine dieser Unsicherheiten ist einfach: Inwieweit werden die immer schärfer werdenden Auflagen zur Nachhaltigkeit die Investitionen belasten? Und wie hoch sind umgekehrt die Risiken, heute nicht in Nachhaltigkeit zu investieren, was langfristig wahrscheinlich zu einer Unterbewertung von energieintensiven Gebäuden führen wird? 
 

Genau auf diese Unsicherheiten möchte diese Forschungsarbeit von Khephren und Signa-Terre eine Antwort geben, indem es das Problem aus drei Blickwinkeln angeht: erstens die tatsächlichen Kosten einer energetischen Renovation, zweitens die energetischen Vorteile dieser Investitionen und drittens die Auswirkungen auf die Finanzperformance der Immobilie. Für die Antworten werden möglichst viele Informationen über alle Ausgaben und Einnahmen im Zusammenhang mit Investitionen in Nachhaltigkeit, energetische Renovation oder energieeffizienteres Bauen zusammengetragen. 

 

 

Aktuelle Methoden reichen nicht aus
 

Wenn ein neues Bewertungsinstrument geschaffen werden muss, bedeutet dies auch, dass die derzeitigen Modelle nicht genügen. Dies ist zumindest die Meinung von Alexandre Baettig, Vizedirektor bei Acanthe SA, Geschäftsführer der Lithos Anlagestiftung für Immobilien und Präsident der CEI. 
 

Zwar sieht man auf dem Markt, dass es eine Wertdifferenz zwischen nachhaltigen und energieintensiven Gebäuden gibt, aber es fehlt noch an Daten, um diesen grünen Wert genau bestimmen zu können. Zum Beispiel in Bezug auf die Mieten: Ist ein Mieter wirklich bereit, eine höhere Miete zu zahlen, um in einem nachhaltigen Gebäude zu wohnen? Derzeit gibt es keine zuverlässige Studie, die das bestätigt. Vielmehr begnügt man sich mit Annäherungswerten und einer groben Einschätzung. Aus diesem Grund ist die Forschungsarbeit von Khephren und Signa-Terre willkommen. Damit lässt sich erstens nachweisen, dass dieser grüne Wert für ein Gebäude tatsächlich existiert, und zweitens kann man diesen genau quantifizieren. 

 

Auch die Banken haben ihre Nachhaltigkeitszwänge
 

Auch die Banken stehen der Entwicklung eines solchen Instruments sehr positiv gegenüber. Denn bevor sie eine Hypothek ausstellen und den Zinssatz festlegen, müssen sie sich nicht nur vom Wert einer Immobilie überzeugen, sondern auch davon, dass dieser dauerhaft bestehen bleibt. Nichts hassen Banken mehr als erhebliche Wertkorrekturen während der Hypothekarlaufzeit. 
 

«In der Vergangenheit waren solche Korrekturen eher Marktaspekten wie der Entwicklung der Hypothekarzinsen geschuldet», erklärt David Michaud, Immobilienökonom bei der BCV. Heute hat sich die Problematik jedoch auf Umweltaspekte ausgeweitet. Es ist nämlich gut möglich, dass ein Gebäude, das die regulatorischen Nachhaltigkeitskriterien nicht mehr erfüllt, auch eine Wertkorrektur erfährt. Ganz zu schweigen davon, dass dies ein Imagerisiko für die Bank darstellen könnte, die ebenfalls ein dauerhaftes und stabiles Wachstum erzielen muss, um den Ansprüchen ihrer Kunden, Mitarbeiter, Investoren und politischen Behörden gerecht zu werden. 
 

In diesem Zusammenhang bekäme die Bank die Möglichkeit, ein Instrument zur Bewertung des grünen Wertes zu nutzen, um die Qualität einer Immobilie besser einzuschätzen, aber auch Kunden besser zu beraten. Letztere könnten einen höheren Belehnungswert vereinbaren, wenn der grüne Wert ihres Gebäudes hoch ist. Ein konkreter Vorteil für Eigentümer von nachhaltigen Gebäuden.
 

Wir sehen uns also in zwei Jahren, wenn die Studie veröffentlicht wird. Dann werden wir endlich erfahren, worin dieser grüne Wert aus kaufmännischer Sicht besteht.


 

Olivier Toublan, Immoday