Der Zinsanstieg hat (noch) nicht zu einer Verlangsamung der Preissteigerungen bei Immobilien geführt
05/09/2022
3 Min
Die Immobilienpreise setzten ihren starken Anstieg auch im zweiten Quartal 2022 fort. Sie legten innerhalb von 12 Monaten fast 8% zu. Aufgrund des Zinsanstiegs dürfte sich dieses Tempo jedoch verlangsamen. Erster Indikator: Die Zahl der zum Verkauf stehenden Immobilien nimmt kräftig zu.
Der neue Schweizer Immobilienpreis-Barometer von RealAdvisor ist soeben erschienen. Trotz der höheren Hypothekarzinsen «steigen die Preise 2022 weiterhin schnell an. Innerhalb von 12 Monaten sind die Preise für Einfamilienhäuser um +7,9% und für Wohnungen um +7,7% gestiegen».
Bei einer genauen Analyse der Zahlen ist indes eine Verlangsamung des Tempos zu beobachten. Wie die Ökonomen von RealAdvisor festgestellt haben, stiegen die Preise für Einfamilienhäuser im ersten Halbjahr 2022 um 3,4% und für Wohnungen um 3,6% an, während sie in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 um 4,5% für Einfamilienhäuser und um 4,1% für Wohnungen angezogen hatten.
Auf lokaler Ebene haben in den letzten 12 Monaten drei Städte einen Anstieg von mehr als 10% bei den Einfamilienhäusern verzeichnet: Schaffhausen (+11,8%), Zug (+10,5%) und Luzern (+10,4%). Bei den Wohnungen fällt der Anstieg etwas schwächer aus (Zug [+10,4%], Zürich [+9,6%] und Schaffhausen [+9%]).
Anstieg um 148% innerhalb von 10 Jahren!
Blickt man zehn Jahre zurück, so stellt man fest, dass sich die Immobilienpreise in diesem Zeitraum fast verdoppelthaben: Bei den Einfamilienhäusern war ein beeindruckender Anstieg von 88% und bei den Wohnungen von 80% zu verzeichnen. Einige regionale Zahlen fallen noch spektakulärer aus: Die Preise von Wohnungen in Sitten sind in zehn Jahren um 149%, in Lausanne um 143% und in Schaffhausen um 131% gestiegen. Die Preise von Einfamilienhäusern wiederum haben in den letzten zehn Jahren in Zug um 132% und in Lausanne um 127% angezogen.
Es überrascht kaum, dass der Preisanstieg genau mit dem kontinuierlichen Rückgang der Zinsen und damit mit den rückläufigen Hypothekarzinsen nach der Krise von 2008 zusammenfällt. Doch an der Zinsfront ist es vor Kurzem zu einem abrupten Trendwechsel gekommen: Die Sätze für 10-jährige Festhypotheken klettern wieder auf das Vorkrisenniveau (3,3% im Jahr 2008, dann ein Tiefstand von 1,2% im Jahr 2021 und nun 2,7% Ende Juni 2022). Damit ändert sich die Situation grundlegend.
Wird sich der Preisanstieg verlangsamen?
Wie die Ökonomen von RealAdvisor erklären, hat sich der Preisanstieg in den Nachbarländern stark verlangsamt. In Frankreich beispielsweise sind die Preise seit Jahresbeginn nur um 1,7% gestiegen. In Deutschland hat sich der Preis der Einfamilienhäuser im ersten Quartal 2022 stabilisiert (+0,1%).
Dies zeigt, dass sich die steigenden Zinsen allmählich auf den Markt auswirken. «Für zukünftige Hauskäufer haben sich die Finanzierungsbedingungen nicht geändert, aber der Preis und die steigenden Zinsen machen das Geschäft finanziell weniger attraktiv», fassen die vor Ort tätigen Experten von RealAdvisor die Situation zusammen.
Die Auswirkungen des Zinsanstiegs auf das Angebot sind klar: «Wir haben festgestellt, dass die Zahl der zum Verkauf stehenden Immobilien im Vergleich zum ersten Quartal des Jahres um fast 10% gestiegen ist», so die Experten von RealAdvisor. Dies sei ganz klar ein Frühindikator für eine Entspannung am Immobilienmarkt. Allerdings mit einer Einschränkung: «Das Angebot ist weiterhin sehr begrenzt und liegt weit unter dem, was wir vor zwei Jahren beobachtet haben. Das Angebot dürfte mittelfristig weiterhin begrenzt bleiben, da die Zahl der Baugenehmigungen seit 2014 nicht mehr gestiegen ist.»
Der schnellste Zinsanstieg seit 30 Jahren
Der Immobilienmarkt verändert sich – und zwar rasant. «Im Jahr 2022 haben die Schweizer Bürger einen echten Paradigmenwechsel erlebt. Während man zu Beginn Rekordsummen aufbringen musste, um Wohneigentum zu erwerben, machte das Umfeld der niedrigen Hypothekarzinsen den Erwerb von Wohneigentum finanziell sehr attraktiv. Aktuell muss ein Eigentümer pro Jahr doppelt so viel ausgeben, um die Hypothekarkosten zu decken, als noch vor sechs Monaten», so die Experten von RealAdvisor. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Situation verändert habe, sei beeindruckend. Seit mehr als 30 Jahren hätten wir keinen so schnellen Anstieg der Zinsen mehr erlebt.
Zum ersten Mal seit Jahren ist es wieder günstiger zu mieten als zu kaufen. «Zusätzlich zu den Hypothekenzinsen erhöhen einerseits die Inflation der Verbraucherpreise (+3,4% in einem Jahr) und die steigenden Energiepreise (+25% in einem Jahr) die obligatorischen Ausgaben der Haushalte. Dies benachteiligt potenzielle Käufer.»
Kurzum, die Experten von RealAdvisor kommen zum Schluss, dass «es schwer vorstellbar ist, dass in naher Zukunft die gleichen finanziellen Vorteile wie in den letzten 20 Jahren beim Erwerb von Wohneigentum erzielt werden können.» Und nicht zu vergessen: Die Situation dürfte sich angesichts der in den kommenden Monaten weiter steigenden Zinsen noch verschärfen.
Olivier Toublan, Immoday