Die wahren Herausforderungen der Immobilienbranche liegen nicht im Anstieg der Zinsen

03/08/2022

Immoday

Olivier Toublan

4 Min

Bedeuten die steigenden Zinssätze das Ende der fetten Jahre für die Immobilienbranche? So einfach ist das nicht, erklärt Gunnar Gärtner vom SVIT. Er beleuchtet die Faktoren, die für Unruhe bei den Preisen sorgen. Und diese sind nicht nur monetärer Natur.

 

Die Zinssätze steigen schneller als erwartet, und mit ihnen die Hypothekarzinsen. Was nach Ansicht vieler Ökonomen zu einer Trendwende auf dem Immobilienmarkt führen wird. Doch ihr Szenario bedenkt nur rein monetäre Faktoren, sagt Gunnar Gärtner in der jüngsten Ausgabe von Immobilia, der Zeitschrift des SVIT. Für den Co-Präsidenten des Verbands und CEO des auf Immobilienberatung spezialisierten Unternehmens Comre sind die wahren Herausforderungen, die dem Immobiliensektor in den nächsten Monaten drohen, nämlich nicht allein monetärer Natur.

 

Nicht nur monetäre Aspekte betrachten

 

Die Erklärungen der Wirtschaftswissenschaftler für das anhaltende Wachstum der Immobilienpreise sind bekannt. Erstens ist da das Niedrigzinsumfeld, das vorteilhafte Finanzierungen ermöglicht hat, was wiederum dazu geführt hat, dass Projekte, die zuvor nicht rentabel genug gewesen waren, vermehrt umgesetzt wurden. Zweitens der Spread der Immobilienrenditen im Vergleich zu Anleihen, der die Attraktivität von Immobilieninvestitionen massiv erhöht hat. Drittens die Negativzinsen auf Bargeld, die die Renditeerwartungen der institutionellen Anleger an Immobilien gesenkt haben. Diese drei Faktoren führten dazu, dass Immobilienfonds von einem nahezu unbegrenzten Kapitalzufluss profitiert haben, da die institutionellen Anleger kaum eine Wahl hatten und gezwungen waren, ihr Geld irgendwo zu investieren. Mit der Folge, dass es zu dieser starken Nachfrage und einem stetigen Anstieg der Preise kam.

 

Daher müssten die Preise logischerweise fallen, sollte sich die Nachfrage aufgrund eines Zinssatzanstiegs verlangsamen. Die Finanzierung von Projekten wird teurer, die Investoren werden höhere Renditen wollen und die Kapitalströme werden versiegen. Klingt logisch, entspricht aber nicht der Analyse von Gunnar Gärtner.

 

Das Bevölkerungswachstum wird die Preise stützen

 

Für den Co-Vorsitzenden des SVIT ist nämlich das Bevölkerungswachstum der starke Motor der Immobilienmärkte. In den letzten fünfzig Jahren ist die Bevölkerung der Schweiz von 6,3 Millionen Menschen auf heute 8,7 Millionen angestiegen. Ein Wachstum, das automatisch zu einer starken Nachfrage nach Wohnraum geführt hat. Dies hat die Preise gestützt und wird sie auch weiterhin stützen und sogar weiter in die Höhe treiben – denn das Bauland ist begrenzt.

Nicht zuletzt, weil es die Schweizer Bevölkerung gern etwas luxuriöser hat. Sie ist immer auf der Suche nach hochwertigen Unterkünften. Das hat sich während der Pandemie erneut gezeigt. Ausserdem hat die Pandemie das Arbeitsumfeld verändert. Ein Teil der Bevölkerung ist aus den grossen Zentren in kleinere, abgelegenere Städte abgewandert, was die Preise in den gut angebundenen ländlichen Gemeinden in die Höhe treibt. Diese Faktoren sollten den Immobilienmarkt trotz des Zinsanstiegs stützen, schätzt Gunnar Gärtner.

 

Der nächste Renovationszyklus rückt näher

 

Die Anforderungen an die Nachhaltigkeit sind der zweite grosse Faktor, der die Preise in den kommenden Jahren stützen wird. Bekanntlich verursacht der Schweizer Immobilienbestand 30 % der CO2-Emissionen des Landes, und die Fachleute haben inzwischen verstanden, dass sie sich den Anforderungen an die Nachhaltigkeit nicht entziehen können. Darüber hinaus, erklärt Gunnar Gärtner, dürfte der Preisanstieg bei den fossilen Brennstoffen einen zusätzlichen Impuls für Investitionen in die Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden geben.

Der Immobilienexperte erinnert sich, dass am Ende des letzten Immobilienbooms Anfang der 1990er Jahre ein nicht unerheblicher Teil des Schweizer Immobilienbestands renoviert worden war. Kostenintensiv und qualitativ hochwertig. «Allen Gebäuden, die vor mehr als 30 Jahren renoviert wurden, steht nun der nächste Renovationszyklus bevor», was zu neuen Projekten führen, hohe Investitionen erfordern und die Branche stützen wird. Zumal bei einigen sehr alten, nicht renovierten Gebäuden die Entscheidung einfach darin bestehen könnte, sie abzureissen und durch neue zu ersetzen.

 

Der Schweizer Immobilienmarkt ist robust, das hat er bewiesen

 

Letztendlich ist es laut Gunnar Gärtner wenig wahrscheinlich, dass der Zinsanstieg die Entwicklung des Immobilienmarktes stoppen wird. Ein Markt, der sich schnell an veränderte Rahmenbedingungen anpasst und über genügend Eigenkapital verfügt, sodass steigende Zinsen im schlimmsten Fall nur eine Verlangsamung bewirken würden. «Dass der Schweizer Immobilienmarkt stabil ist, hatte sich bereits während der Finanzkrise gezeigt. Und alles deutet darauf hin, dass einige der heute zu beobachtenden Korrekturen vor allem den erwarteten Anpassungen in einem überhitzten Umfeld entsprechen.» Er räumt jedoch ein, dass die Volatilität zugenommen hat.

Und das bedeutet auch nicht, dass es auf dem Schweizer Immobilienmarkt keine realen Risiken gibt. Doch die liegen woanders, versichert Gunnar Gärtner. «Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften im Bausektor sowie die Verknappung und Lieferverzögerungen bei Baumaterialien führen zu längeren Bauzeiten mit entsprechenden finanziellen Folgen.» Darüber hinaus, so der Immobilienexperte, führten die Beschränkungen während der Pandemie teilweise auch zu Verzögerungen bei den Baugenehmigungsverfahren.

Sieht man alles im Gesamtkontext, schliesst Gunnar Gärtner, werden diese Kostensteigerungen und Bauverzögerungen am Ende nur ein Dämpfer sein und nicht das Ende der Immobilienhausse bedeuten.

 

Olivier Toublan, Immoday