Gelten Anteile an Immobiliengesellschaften als Wertpapiere ?

09/08/2021

Thierry De Mitri

De Mitri Conseils SA

5 min

Können Anteile an französischen Immobiliengesellschaften im Rahmen der Schweizer Vermögensteuer als Wertpapier gelten?

 

In seinem Urteil vom 1. April 2021 bejaht das Waadtländer Kantonsgericht diese Frage. Nach eingehender Prüfung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Frankreich kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Schweiz ihr Besteuerungsrecht wiedererlangen kann, wenn die Gesellschafter einer Immobiliengesellschaft in Frankreich nicht nach der dortigen Immobilienvermögensteuer steuerpflichtig sind. Dieses Urteil wurde angefochten, das Bundesgericht wird in letzter Instanz entscheiden müssen. Eine Erläuterung.

 

Wenn Schweizer Gebietsansässige oder Gebietsfremde Immobilien in Frankreich besitzen, erfolgt dies sehr häufig als Beteiligung an einer Immobiliengesellschaft. Diese Rechtsform ist jedoch im Schweizer Recht unbekannt und ihre steuerliche Beurteilung oft Gegenstand von Fragen und Rückfragen, wenn es darum geht, die über eine Immobiliengesellschaft gehaltene Immobilie in der Schweizer Steuererklärung zu deklarieren.
 

Es stellt sich die Frage, ob eine von den französischen Steuerbehörden als steuertransparent behandelte Immobiliengesellschaft nach Schweizerischem Recht und dem zwischen der Schweiz und Frankreich geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen (im Folgenden «schweizerisch-französisches DBA») eine Immobilie darstellt oder ein Wertpapier, weil die Anteile über eine Immobiliengesellschaft gehalten werden. Diese Frage ist entscheidend, da die Immobiliengesellschaft entweder bei der Steuerbemessungsgrundlage der schweizerischen Posten berücksichtigt werden kann, wenn es sich um ein Wertpapier handelt, oder nur im Rahmen des Steuersatzes, wenn es sich um eine Immobilie handelt. Wie sich zeigen wird, ist die Antwort auf diese Frage nicht einfach und kann variieren – je nachdem, ob man in Frankreich der Einkommensteuer oder der Vermögensteuer unterliegt.
 

In seinem Urteil vom 1. April 2021 (FI.2020.0109) musste sich das Kantonsgericht Waadt mit dieser haarigen und relativ komplexen Frage auseinandersetzen. Ein Waadtländer Steuerpflichtiger hatte die Einstufung seiner Anteile an einer Immobiliengesellschaft durch die Steuerbehörden in Waadt als Wertpapiere angefochten, die in seiner Steuererklärung der Bemessungsgrundlage für die Vermögensteuer zugeordnet worden waren. Da diese Immobiliengesellschaft in Frankreich als transparent behandelt wird, war der Steuerpflichtige der Ansicht, dass sie aus Gründen der Schlüssigkeit wie Immobilienvermögen behandelt und folglich nur bei der Berechnung des Steuersatzes berücksichtigt werden sollte (gemäss dem Schweizer System der Befreiung mit Progressionsvorbehalt, das für im Ausland gelegene Immobilien gilt).
 

Die Waadtländer Steuerbehörden waren jedoch der Ansicht, dass Anteile an Immobiliengesellschaften nach Schweizer Recht Wertpapiere darstellen. Bei steuerlichem Wohnsitz in der Schweiz ist der Steuerpflichtige mit seinem gesamten globalen Vermögen steuerpflichtig, mit Ausnahme von Unternehmen, festen Niederlassungen und Immobilien, die ausserhalb des Kantons und insbesondere auch im Ausland liegen.

Grundsätzlich verlangt das Gesetz vom Fiskus, ausländische juristische Personen ähnlich wie solche juristischen Personen aus der Schweiz zu behandeln, denen sie in Form und tatsächlicher Struktur am nächsten kommen. Nach Ansicht der Steuerbehörden sind Immobiliengesellschaften jedoch Gesellschaften juristische Personen mit Kapital, Gesellschaftern und einer Hauptversammlung, wonach Immobiliengesellschaften als Wertpapiere anzusehen sind.
 

In erster Instanz prüfte das Gericht das schweizerisch-französische DBA daraufhin, ob dieses das Schweizer Recht über die Besteuerung von Immobiliengesellschaften einschränken kann. Mit anderen Worten: Das Kantonsgericht ist der Auffassung, dass das nationale Recht ausreichende Rechtsgrundlagen für die Besteuerung von Immobiliengesellschaften bietet. Nur ein DBA würde das Recht dahingehend einschränken können.
 

Gemäss Art. 24 des schweizerisch-französischen DBA ist Vermögen, das aus Anteilen, Aktien oder anderen Rechten an einer Gesellschaft besteht, die direkt oder indirekt aus Immobilien im Sinne des DBA selbst besteht, an dem Ort zu besteuern, an dem sich die Immobilie befindet. So sieht die Zuteilungsregel des Abkommens ausdrücklich vor, dass Anteile an Immobiliengesellschaften ausschliesslich in Frankreich der Steuer unterliegen.

Es musste jedoch überprüft werden, ob dieser Steueranspruch nicht doch in irgendeiner Weise an die Schweiz zurückfallen kann. Art. 25 Bst. b Zif. 1 DBA, der einen Mechanismus zur Beseitigung der internationalen Doppelbesteuerung umfasst, sieht vor, dass die Schweiz Einkünfte oder Vermögen von in der Schweiz ansässigen Personen, die nach den Bestimmungen des DBA in Frankreich steuerpflichtig sind (mit Ausnahme von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren), von der Einkommensteuer freistellt, aber bei der Berechnung des Steuersatzes berücksichtigen kann.
 


Diese Befreiung gilt jedoch nur für Einkünfte, Kapitalgewinne oder Vermögensbestandteile, die unter anderem in Form einer Immobiliengesellschaft organisiert sind, und nur bei Nachweis der Besteuerung dieser Einkünfte, Kapitalgewinne oder Vermögensbestandteile in Frankreich. Mit anderen Worten: Das Besteuerungsrecht Frankreichs kann nur dann bestätigt werden, wenn festgestellt wird, dass Frankreich selbst die Besteuerung der ihm durch das schweizerisch-französische DBA zugewiesenen Elemente ausübt. Diese Besonderheit ist nur bei Anteilen an einer Gesellschaft mit überwiegender Beteiligung an Immobilienvermögen vorgesehen.
 

Nach sorgfältiger Prüfung kam das Gericht zu dem Schluss, dass im vorliegenden Fall keine derartige Besteuerung in Frankreich vorgenommen worden war. Beträgt der Immobilienwert weniger als 1.300.000 EUR, wird in Frankreich nämlich keine Solidaritätssteuer auf Vermögen erhoben. Dasselbe gilt seit dem 1. Januar 2018, als die Solidaritätssteuer auf Vermögen zugunsten einer Immobilienvermögensteuer abgeschafft wurde, deren Schwelle ebenfalls bei 1.300.000 EUR liegt.
 

Wenn sich also herausstellt, dass der französische Staat keine Besteuerung vornimmt, weil die Steuerschwelle nicht erreicht wurde, erlangt die Schweiz ihr Recht zurück, solche Immobilienelemente zu besteuern, die als Anteile an Gesellschaften mit überwiegender Beteiligung an Immobilienvermögen, wie z. B. Immobiliengesellschaften, gehalten werden. Es handelt sich hierbei um eine Art «Subject-to-tax-Klausel». 
 

Im vorliegenden Fall stellte das Gericht fest, dass der Steuerpflichtige in Frankreich aufgrund der Schwelle nicht der Immobilienvermögensteuer unterlag. Daher vertritt das Gericht die Auffassung, dass die Schweizer Steuerbehörden ihr Besteuerungsrecht nach dem oben erwähnten Art. 25 DBA wiedererlangt haben. Obwohl die französischen Steuerbehörden Anteile an Immobiliengesellschaften nach französischem Steuerrecht als steuertransparent behandeln, bleibt die Tatsache bestehen, dass der Steuerpflichtige keine Besteuerung in Frankreich nachweisen kann. Das Gericht beruft sich auch auf die Mitteilung des Bundesrates vom 1. August 1998, in der ausdrücklich erwähnt wird, dass «die Befreiung auf schweizerischer Seite nur gilt, wenn die Einkünfte in Frankreich besteuert wurden».
 

Folglich bestätigte das Gericht das Recht der Schweiz, Anteile an Immobiliengesellschaften im Rahmen der Vermögensteuer zu besteuern. Dagegen betrifft das Urteil nicht die Einkommensteuer, bei der die Anwendung von Art. 25 DBA offenbar zu einer Besteuerung in Frankreich führen würde, ohne dass die Schweiz die Besteuerung vornehmen kann. Dies führt zu der paradoxen Lösung, dass dieselbe Immobilie im Rahmen der Einkommensteuer als Immobilienwert betrachtet (und nur für den Steuersatz berücksichtigt) wird, aber für Vermögensteuerzwecke als Wertpapier qualifiziert und in der Schweiz besteuert wird.
 

Diese paradoxe und bisher nicht aufgetretene Situation kann zu einer erheblichen Besteuerung in der Schweiz führen. Im Kanton Waadt kann sich daraus eine zusätzliche Steuerbelastung von mehr als CHF 10.000 pro Jahr ergeben, wenn der Wert der Anteile an einer Immobiliengesellschaft leicht unter EUR 1.300.000 liegt. Dies ist also nicht unerheblich.
 

Wie bereits dargelegt, wurde der Fall vor das Bundesgericht gebracht, das nun eine endgültige Entscheidung in dieser sehr speziellen internationalen Sache treffen muss. Ohne Zweifel wird das Ergebnis eingehend geprüft werden, denn die Zahl der in der Schweiz ansässigen Personen, die nicht in Frankreich besteuerte Anteile an Immobiliengesellschaften halten, ist gross.

 

Thierry De Mitri
De Mitri Conseils S.A.
Thierry De Mitri hat einen Abschluss in Jura und HEC und verfügt über 20 Jahre Erfahrung als qualifizierter Steuerexperte.

Derzeit arbeitet er als Steuerberater in seiner eigenen Kanzlei und hilft seinen Mandanten bei der Lösung spezifischer Steuerprobleme im privaten und gewerblichen Bereich, die sich auf die schweizerische und internationale Besteuerung beziehen.

Parallel zu seiner selbständigen Tätigkeit ist Thierry De Mitri auch als Dozent an verschiedenen Institutionen, als Unternehmensleiter und als regelmäßiger Referent bei Seminaren zu aktuellen Steuerthemen tätig.