Lage bei Gewerbeimmobilien weiterhin angespannt

20/06/2022

Immoday

Olivier Toublan

5 min

Immobilienmonitoring Nr. 14, Juni 2022, Immoday

 

Es ist unbestritten, dass Gewerbeimmobilien die Pandemie besser überstanden haben als erwartet. Doch der Teufel steckt im Detail, und eine tiefergehende Analyse der geschlossenen Mietverträge offenbart eine klare Tendenz zu kürzeren Laufzeiten. Zudem dürften die Mieten auch in den kommenden Monaten weiterhin sinken.

 

Doch hatte die Pandemie auch Auswirkungen auf den Gewerbesektor. Zwar blieb die Zahl der geschlossenen Mietverträge allgemein stabil, doch hat sich die Dauer der neuen Verträge deutlich verkürzt. Das ist das Ergebnis einer Analyse von mehreren tausend Verträgen, die Wüest Partner in der Frühjahrsausgabe seines Immo-Monitorings veröffentlicht hat. Lag die «durchschnittliche Laufzeit in den Jahren 2015 bis 2019, also vor der Pandemie, noch bei 6,6 Jahren, betrug sie 2021 nur noch 6,1 Jahre».

 

Die fünf Faktoren der kürzeren Mietverträge
 

In erster Linie zählt laut den Spezialisten von Wüest Partner die Grösse des Objekts: je grösser die Nutzfläche, desto länger die Mietdauer.
 

Es folgt die Qualität des Gebäudes: je besser der Zustand, die Ausstattung und die Flexibilität der Grundrisse, desto länger die Mietverträge.
 

Das dritte Kriterium ist die Branche, in der der Mieter tätig ist: Unternehmen aus dem Produktionssektor, der öffentlichen Verwaltung, dem Bildungs- und Gesundheitswesen schliessen im Durchschnitt längerfristige Mietverträge ab.
 

Auch muss die Art der Gemeinde beachtet werden: je städtischer die Gemeinde, desto kürzer die Laufzeiten. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass sich in städtischen Gemeinden eine hohe Anzahl von Unternehmensgründungen konzentrieren, und da diese Unternehmen häufig klein sind, «ist es nur natürlich, dass sie bevorzugt kurze Mietverträge abschliessen, um flexibel zu bleiben, sollte es nach einem schnellen Anstieg der Mitarbeiterzahl zu Platzmangel kommen».
 

Und schliesslich gilt, je höher die Angebotsquote an Büroflächen in einer Gemeinde, desto kürzer ist die vereinbarte Mietdauer.

 

Büros halten stand, aber die Mieten sinken
 

Die Zahl der Arbeitsplätze in der Schweiz dürfte 2022 weiter zunehmen, schätzen die Analysten von Wüest Partner. Im Jahr 2021 war sie um 94'900 gestiegen, was einem Zuwachs von 1,9 % und im Dienstleistungssektor sogar von 2,2 % entspricht. Gleichzeitig ist die Zahl der freien Stellen stark gestiegen. «Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass die Nachfrage nach Büroflächen ihr derzeitiges Wachstum beibehält.»
 

Auf der Angebotsseite ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen: «Die im vierten Quartal 2021 angebotenen Flächen wiesen einen Anstieg von 4,5 % gegenüber dem Vorjahr auf.» Der grösste Zuwachs war in den grossen Zentren zu verzeichnen. Einziger Wermutstropfen: «Den Bauanträgen nach zu urteilen, ist das Investitionsvolumen im Vergleich zum Vorjahr gesunken, was den Bau neuer Büroflächen verlangsamen dürfte.»
 

Bei den Mieten sieht es weniger rosig aus. Zum Ende letzten Jahres waren die durchschnittlichen Mietpreise der angebotenen Büroflächen um 2,6 % gegenüber dem Vorjahr gesunken. «Für dieses Jahr erwarten wir angesichts der weiterhin wachsenden Kapazitäten, dass die Mieten erneut, aber immerhin weniger stark, nämlich um 0,9 %, zurückgehen.»

 

Weniger Nachfrage und mehr Leerstand beim Einzelhandel

 

Es überrascht nicht, dass sich der Strukturwandel im Einzelhandel auch nach dem Ende der Pandemie fortsetzt. «Besonders deutlich zeigt sich diese Entwicklung im Non-Food-Sektor, wo der Anteil des Onlinehandels im zweiten Halbjahr 2021 im Jahresvergleich um weitere 1,9 Prozentpunkte gestiegen ist», so die Spezialisten von Wüest Partner.
 

Der Strukturwandel trifft auch den Arbeitsmarkt, der in diesem Sektor rückläufig ist. «Die zunehmende Technologisierung und Automatisierung verringern den Bedarf an Personal, beispielsweise an den Kassen in den Geschäften.»
 

Gleichzeitig entkoppeln sich die Umsätze von den Verkaufsflächen, da der Onlinehandel stetig wächst. Dies hat zur Folge, dass die Unternehmen in den betroffenen Branchen, wie Bekleidung oder Schuhe, weniger Mietverträge für Verkaufsflächen abgeschlossen haben. Als Beispiel führen die Analysten von Wüest Partner Interdiscount an: Das Unternehmen konnte seinen Umsatz seit 2016 um fast 17 % steigern, hat aber im gleichen Zeitraum seine Verkaufsflächen um 20 % reduziert.
 

Als Folge dieses tiefgreifenden Wandels der Branche ist die Nachfrage nach Verkaufsflächen rückläufig. Zwar wurden die leerstehenden Flächen bislang grösstenteils von einzelnen Dienstleistern wie Fitnessstudios, Friseursalons oder Schönheitsinstituten genutzt, «doch scheint der gesunkene Bedarf insgesamt zu höheren Leerstandsquoten geführt zu haben».

 

Mieten für Einzelhandelsgeschäfte sinken auch in diesem Jahr 
 

Die Mieten an den besten Adressen steigen allerdings weiterhin an. Mitunter sogar auf beeindruckende Weise innerhalb eines Jahres: «etwa 4 % in Lausanne und fast 11 % in Zürich». Auch wenn nicht alle grossen Städte denselben guten Zustand verzeichnen, denn die Mieten in Genf und Basel sind praktisch unverändert geblieben. Ein Anstieg, der zum Teil auf das starke Umsatzwachstum im Luxusgütersektor zurückzuführen ist, schätzen Wüest Partner, denn dieser hat die derzeitige Verlagerung auf den Onlinehandel viel besser überstanden.
 

Doch nicht alle verfügbaren Verkaufsflächen haben das Glück, im Zentrum einer Grossstadt zu liegen. In den kleinen und mittelgrossen Ballungsgebieten bleiben die Leerstandsquoten bestehen. Und dürften auch höher bleiben als in anderen Gegenden, «denn die eingereichten Bauanträge deuten darauf hin, dass neue Verkaufsflächen das Angebot bald erweitern werden, und zwar oftmals in Bauprojekten für gemischt genutzte Gebäude», merken die Analysten von Wüest Partner an.
 

Und ziehen aus ihrer Analyse des Gewerbesektors folgenden pessimistischen Schluss: «Angesichts der strukturellen Herausforderungen und des aktuellen Wandels im Einzelhandel rechnen wir in diesem Jahr mit einem weiteren Rückgang der Mieten.»
 

Olivier Toublan, Immoday