Immobiliengesellschaften: Ein Urteil des Bundesgerichts schafft Klarheit bei der Verlustverteilung auf die Kantone

27/10/2020

Jean-Sébastin Lassonde

PwC

5 min

Bei interkantonalen Gesellschaften, das heisst Gesellschaften, die in mehreren Kantonen steuerlich zugehörig sind (auch «Orte der Veranlagung» genannt), stellt sich die Frage, wie die Gewinne beziehungsweise die Verluste auf diese Kantone verteilt werden.
 

In seinem Urteil 2C_285/2018 vom 5. November 2019 legt das Bundesgericht nun dar, wie bei Immobiliengesellschaften, die Liegenschaften in mehreren Kantonen halten, die Verteilung der Verluste zu regeln ist.
 

Einleitend möchten wir daran erinnern, dass die Steuergesetze nur wenige Bestimmungen über die Verteilung von Gewinnen und Verlusten enthalten. Zu den wenigen einschlägigen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG) zählt das Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung, das insbesondere verhindern soll, dass derselbe Gewinn mehrfach besteuert wird oder ein Kanton sein Besteuerungsrecht überschreitet. Ein weiterer Grundsatz, der aus der Bundesverfassung übernommen wurde, ist derjenige der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und sogar des Verbots diskriminierender Behandlung. Die kumulierten Gewinne, die den verschiedenen kantonalen Steuerbehörden zugewiesen werden, dürfen den Gesamtgewinn nicht übersteigen. Mit anderen Worten: Wenn ein interkantonales Unternehmen in einem Kanton einen Gewinn und in einem anderen einen Verlust erwirtschaftet, muss der Kanton, in dem Gewinn erzielt wird, den Verlust des anderen Kantons berücksichtigen.
 

Diese Bestimmungen reichen jedoch nicht aus, um gewisse Situationen eindeutig zu regeln. Doch haben sich hier im Laufe der Jahre insbesondere dank einiger gerichtlicher Entscheidungen bestimmte Praktiken herausgebildet.
 

Diesen Praktiken zufolge gibt es je nach ausgeübter Aktivität unterschiedliche Methoden zur Aufteilung, die jedoch nicht näher beschrieben werden sollen, da der Fokus hier auf Immobiliengesellschaften liegt.

mika-korhonen-pNLLzCPrXec-unsplash.jpgDie Immobiliengesellschaft ist in der Bundesgesetzgebung nicht definiert. Einige Kantone haben Bestimmungen, die spezifizieren, was unter dieser Art von Gesellschaft zu verstehen ist. So sieht z. B. der Kanton Waadt in Artikel 64 seines Steuerrechts vor: Immobiliengesellschaften sind juristische Personen, deren Haupttätigkeit der Bau, der Betrieb, der Kauf oder der Verkauf von Immobilien ist.
 

Im Prinzip verfolgt eine Immobiliengesellschaft streng genommen keinen Geschäftsbetrieb. In diesem Fall spielt der Sitz der Gesellschaft nur eine nebensächliche Rolle. Bei dieser Art von Gesellschaft wird der jedem Kanton zurechenbare steuerpflichtige Gewinn berechnet, indem das Einkommen aus Liegenschaften direkt den betroffenen Kantonen zugeordnet wird. Die Ausgaben werden entsprechend ihrer Art verteilt (direkte Ausgaben, die dem Standort zugerechnet werden, oder im Falle von indirekten Ausgaben nach Schlüsseln, wie z. B. anteilig nach Bruttoerträgen oder nach Vermögenswerten).
 

Hinsichtlich der Behandlung von Unternehmensverlusten folgte das Bundesgericht bis vor Kurzem den Empfehlungen des Kreisschreibens 27 der Schweizerischen Steuerkonferenz (SSK), einem Organ, dem die kantonalen Steuerbehörden und die Eidgenössische Steuerverwaltung angehören. Nach diesem Kreisschreiben (Ziff. 3.2.1) sind Verluste und Gewinnungskostenüberschüsse eines Kantons in erster Linie mit im gleichen Kanton steuerbaren Gewinnen und Erträgen zu verrechnen. Nicht im gleichen Kanton verrechenbare Verluste und Gewinnungskostenüberschüsse schmälern das nach Quoten zu verteilende Betriebsergebnis.

 

 

Demnach empfiehlt dieses Kreisschreiben also, den Verlust eines Kantons (der nicht mit anderen, diesem Kanton zurechenbaren Einkünften verrechnet werden konnte) unter den begünstigten Kantonen im Verhältnis zu ihrem Gewinn aufzuteilen.
 

Dieser Grundsatz wurde von den kantonalen Behörden weitgehend befolgt.

 

Das Urteil 2C_285/2018 vom 5. November 2019


In diesem Urteil hatte das Bundesgericht über den Fall einer Immobiliengesellschaft (IG) zu entscheiden, die Immobilien in mehreren Kantonen besass. In der Steuerperiode 2013 erzielte die IG einen Gesamtgewinn von etwa 9,5 Mio. CHF. Einerseits erwirtschaftete sie in 6 Kantonen (einschliesslich des Kantons des Sitzes) einen Gewinn von 11 Mio. CHF, in drei weiteren Kantonen jedoch einen Verlust von 1,5 Mio. CHF.


Bei der Besteuerung der Steuerperiode 2013 hatte der Kanton des Sitzes den Verlust von 1,5 Mio. CHF gemäss dem Kreisschreiben 27 der SSK auf die begünstigten Kantone aufgeteilt. Einer der begünstigten Kantone jedoch verweigerte die Schmälerung des Gewinnes, wie sie durch Zuweisung eines Teils des Verlusts entstanden wäre. Dieser Kanton war der Meinung, dass zuerst der Kanton des Sitzes den Verlust auffangen sollte und dass die anderen begünstigten Kantone nur den eventuell verbleibenden Verlust zu tragen hätten.


Das Bundesgericht entschied zugunsten des Kantons, der die Zuweisung dejames-padolsey-5jhLtxcS-Lg-unsplash.jpgr durch den Kanton des Sitzes erzielten Verluste angefochten hatte. Damit bestätigte es also, dass Verluste nicht proportional auf alle anderen Kantone, die einen Gewinn erwirtschaften, verteilt werden sollen, sondern in erster Linie vom Hauptsteuerdomizil zu tragen sind. Nur wenn am Hauptsteuerdomizil ein Verlustüberschuss besteht, müssen die anderen Kantone, in denen Gewinne erzielt wurden, einen Teil der Verluste tragen.
 

Das Kreisschreiben 27 der SSK sollte daher geändert werden.
 

Einschätzung


In erster Linie ist es erstaunlich, dass das Bundesgericht eine seit Langem etablierte Praxis ändert. Im Wesentlichen geht es darum, die Art und Weise der Verlustverteilung zwischen (nicht operativen) Immobiliengesellschaften und Betriebsgesellschaften mit den Betriebsstätten anderer Kantone anzugleichen.
 

Einerseits sorgt die Entscheidung des Gerichts für eine Klärung und Harmonisierung der unterschiedlichen kantonalen Ansätze. Andererseits relativiert das Fehlen der Geschäftsaktivität bei Immobiliengesellschaften die Bedeutung der Rolle des Geschäftssitzes. Daher überrascht es, dass der Geschäftssitz an erster Stelle steht, wenn es darum geht, die Verluste anderer Kantone zu tragen.
 

Überdies wirft diese Änderung zahlreiche Fragen auf, die in Zukunft geklärt werden müssen. Gilt diese neue Praxis z. B. für kollektive Kapitalanlagen mit direktem Grundbesitz, insbesondere solche, die als SICAV organisiert sind? Diese Änderung hat auch wichtige Konsequenzen, die von kantonalen Besonderheiten abhängen (z. B., wenn der Kanton des Sitzes einen Verlust auffangen muss, während die kantonale Gesetzgebung eine Anrechnung der Gewinnsteuer auf die Kapitalsteuer oder eine Minimalsteuer vorsieht). Auch könnte eine Prüfung der Frage nach dem Standort des Sitzes erforderlich sein.