Die Schattenseite der Immobilienfonds

21/01/2022

Jean-Raymond Wehrli

Albin Kistler

4 min


Der Immobiliensektor ist für mehr als 40 Prozent des Energieverbrauchs in der Schweiz verantwortlich und nimmt deshalb in der Energiestrategie des Bundes einen wichtigen Platz ein, damit die Schweiz ihren Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen nachkommt und ihre Klimaziele erreicht. Das im Juni von der Bevölkerung abgelehnte CO2-Gesetz sollte als Rechtsgrundlage für eine klimaneutrale 2000-Watt-Gesellschaft dienen.
 

Bei Immobilieninvestitionen, insbesondere bei solchen über kollektive Anlagen, gehört es zum guten Ton, dass der Verwalter die Nachhaltigkeitsaspekte in den Vordergrund stellt, da die ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales und Governance) für viele Anleger zunehmend an Bedeutung gewinnen.
 

Die grosse Schwierigkeit besteht darin, abzuschätzen, wie sich die Anpassung an die ESG-Normen auf die Renditen auswirken wird, da die grosse Mehrheit der Bestandsimmobilien in der Schweiz alt ist. Die Immobilien der Schweizer Pensionskassen stellen häufig die Hauptquelle der CO2-Emissionen ihres Anlageportfolios dar, weil nur ein Zehntel dieser Immobilien als nachhaltig angesehen wird.
 

Zu beachten ist auch, dass nach der geltenden Verordnung über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen bei einem vollständigen Umbau eines Gebäudes ein erheblicher Teil der Kosten, der schätzungsweise zwischen 30 und 50 Prozent liegt, nicht auf die Mieten überwälzt werden kann, da er als laufender Unterhalt erachtet wird.
 

Einige Branchenakteure beschwichtigen und argumentieren, dass der wirtschaftliche Wert energieeffizienter Gebäude höher ist. Da sich Immobilien kaum untereinander vergleichen lassen und es nur wenige sogenannte nachhaltige Gebäude gibt, kann dies ohne statistische Verzerrung nur schwer belegt werden.
 

Es ist jedoch sicher, dass mietende Unternehmen oder Investoren, die eine günstige Ökobilanz vorweisen wollen, energieeffiziente Immobilien bevorzugen werden. Privatpersonen hingegen werden mit ziemlicher Sicherheit vor allem mit ihrem Geldbeutel denken, macht die Miete doch bereits jetzt einen grossen Teil des Familienbudgets aus. Deshalb ist es sinnvoller, vom Erhalt der wirtschaftlichen Attraktivität einer modernisierten Immobilie zu sprechen. Aufgrund der geltenden und künftigen baurechtlichen Bestimmungen sind die Sanierungen nämlich nicht mehr optional, sondern werden zwingend erforderlich, um eine Überalterung und damit einen Substanzverlust zu vermeiden.
 

 

Doch nicht nur der ökologische Gesichtspunkt, also das «E» in «ESG», sondern auch das «S», das für den sozialen Aspekt steht, erweist sich für die Immobilieninvestoren, welche die Nachhaltigkeitskriterien erfüllen wollen, als Herausforderung. Oft ist die Rede vom Wohlbefinden der Bewohner, doch sollten auch die menschlichen Aspekte im Zusammenhang mit der Baubranche berücksichtigt werden. Dieser Sektor sowie die Branche der Werkstoffherstellung sehen sich mit Fragen wie der Gesundheit der Angestellten, Arbeitsplatzsicherheit, Lohnpolitik und Sozialversicherungen konfrontiert.
 

Darüber hinaus führen das Bevölkerungswachstum und die Urbanisierung in den Grossstädten zu steigenden Mieten, was eine Gefahr der Gentrifizierung nach sich zieht. Bestimmte Bevölkerungsgruppen wie junge Leute, die in den Arbeitsmarkt einsteigen, werden sich eine Wohnung in der Grossstadt nicht mehr leisten können. Ein idealistischer und auf Nachhaltigkeit bedachter Investor sollte darauf achten, Wohnraum für alle sozialen Schichten bereitzustellen und eine gewisse Durchmischung zu gewährleisten. Da der Schweizer Immobilienmarkt sehr angespannt und die Gesetzgebung bisweilen sehr unflexibel ist, ist es indes praktisch ein Ding der Unmöglichkeit, auf den sozialen Aspekt Einfluss zu nehmen.
 

Und was ist mit den Mietern, die in kontroversen, aus dem ESG-Anlageuniversum des Investors ausgeschlossenen Bereichen tätig sind, wie z. B. Zigarettenhersteller?
 

Bleibt noch die Governance (G), die natürlich nicht einem Gebäude, sondern den Immobilienfondsverwaltern zurechenbar ist. Genauso wie die überrissenen Löhne der Unternehmensmanager angeprangert werden, so gilt es auch bei den Verwaltungskosten genau hinzuschauen. Anders als bei anderen Anlagekategorien sind diese Tarife überhaupt nicht gesunken. Die kollektiven Immobilienanlagen erweisen sich nach wie vor als veritable Milchkuh, daher erstaunt es kaum, dass an diesem Markt in letzter Zeit viele Kapitalerhöhungen durchgeführt und zahlreiche neue Produkte lanciert wurden. Mit der Zeit und angesichts des wachsenden Volumens wäre etwas mehr Kosteneffizienz zu erwarten gewesen.
 

Schlimmer noch: Bei der Lektüre der Jahresberichte ist häufig festzustellen, dass die Vergütung des Fondsemittenten mehr als 30 Prozent der Gesamtkosten ausmacht und damit deutlich (zweimal) höher ist als die Kosten für die Instandhaltung der Gebäude. Von diesen «Entschädigungen» werden sich diejenigen im Zusammenhang mit den Arbeiten an den gehaltenen Immobilien und deren Sanierungen im Hinblick auf eine 2000-Watt-Gesellschaft als sehr lukrativ für den Verwalter erweisen. Im Übrigen: Besteht hier nicht ein möglicher Interessenkonflikt zum Nachteil der Anteilseigner?
 

Das Ausmisten der Augiasställe könnte mit der Governance beginnen.

 
 

Jean-Raymond Wehrli, verantwortlich für die Romandie bei Albin Kistler.
Erschienen in der Zeitung Le Temps am 27. Juni 2021