Echte Verdichtung oder Augenwischerei?

25/10/2022

Immoday

Olivier Toublan

4 Min

Immer grössere Gebäude, immer kleinere Wohnungen: Die Verdichtung scheint in den letzten 30 Jahren auf dem richtigen Weg zu sein. Aber ist das wirklich so? Die Zahl der Wohnungen wächst deutlich schneller als die Bevölkerung, doch die Hindernisse nehmen zu, sei es durch Vorschriften, administrative Verzögerungen oder die Zahl der Einsprachen.

 

Verdichten! Das Ziel ist klar, doch der Weg dahin ist in der Schweiz komplex, denn es gibt viele widersprüchliche Weisungen, berichtet die Raiffeisenbank, die sich in ihrem letzten Quartalsbericht über den Schweizer Immobilienmarkt mit dem Problem befasst hat.
 

Auf einem begrenzten Wohnraum, in dem die Bevölkerung ständig wächst, scheint Verdichtung die einfachste Lösung zu sein, um diesen Wohnraum zu erhalten. Nur haben sich in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten die Hindernisse für eine Verdichtung vervielfacht. Das beginnt bei vermehrten administrativen Verzögerungen und reicht bis zur wachsenden Bedeutung, die der Schutz von Umwelt, Landschaft und Denkmalbestand inzwischen hat.
 

Und doch ist eine Verdichtung heute notwendiger denn je, da die Nachfrage nach Wohnraum schneller steigt als die Bevölkerung wächst. Nach den Berechnungen der Ökonomen von Raiffeisen ist in der Schweiz «der Wohnungsbestand zwischen 1990 und 2020 um fast 47 %, die Bevölkerung aber nur um knapp 29 % gewachsen».

 

Die Nachfrage nach Immobilien steigt weiterhin  
 

Diese wachsende Zahl der Wohnungen hat in zahlreichen Gemeinden bereits zu einer Verdichtung der Bebauung geführt. Verschiedene Indikatoren bestätigen dies, erklären die Ökonomen von Raiffeisen. «Zwischen 2010 und 2020 sank der Anteil der Einfamilienhäuser am gesamten Wohnungsbestand um 1,6 % auf 21,6 %, während der Anteil der Wohnungen in Mehrfamilienhäusern um nahezu denselben Prozentsatz (+1,7 %) auf 57,4 % stieg.»
 

Darüber hinaus ist seit 20 Jahren in allen Gemeindetypen ein deutlicher Anstieg der durchschnittlichen Anzahl von Wohnungen pro Mietshaus zu beobachten. In den grössten Städten der Schweiz ist die Entwicklung sogar spektakulär: «Gebäude, die Mitte der 2000er Jahre gebaut wurden, haben im Durchschnitt 13 Wohnungen, während Gebäude, die in den letzten fünf Jahren gebaut wurden, im Durchschnitt fast 21 Wohnungen umfassen. Kommt hinzu, dass die Anzahl der Stockwerke in den Gebäuden im Durchschnitt von 6,3 auf 8,8 stieg.» Dieser Trend ist in städtischen und ländlichen Gemeinden identisch.

 

Steigende Wohndichte  
 

Gleichzeitig ist auch eine markante Veränderung der Wohndichte zu beobachten, sagen die Ökonomen von Raiffeisen. «In den städtischen Zentren stieg zwischen 2012 und 2020 die durchschnittliche Wohnfläche pro Hektar von 2170 auf 2328 Quadratmeter (+7 %).» Ein Anstieg, der in städtischen und ländlichen Gemeinden sogar 10 % erreicht. In den Zentren beträgt er seit 1990 sogar fast 50 %. Auch wenn diese Langzeitstatistiken aufgrund der unterschiedlichen Erfassung der Wohnungen mit Vorsicht zu geniessen sind, bleibt der Trend eindeutig.
 

Infolgedessen wurden in mehreren Gemeinden trotz starker Bevölkerungszuwächse in den letzten 20 Jahren «nur wenige neue Wohnungen am Rand von Siedlungsgebieten auf einer relativ geringen Anzahl noch unbewohnter Hektar gebaut». Die «sparsame» Nutzung des Bodens entspricht in diesen Gemeinden also den Empfehlungen des Raumplanungsgesetzes.

 

Der Wohnraum schrumpft  

 

Die Auflagen für eine Verdichtung haben auch dazu geführt, dass insbesondere in den städtischen Zentren neue Wohnungen in Mietshäusern schrumpfen. «In den fünf grössten Städten schrumpfte zwischen 2005 und 2021 die durchschnittliche Grösse der Wohnungen von etwa 113 m² auf 75 m² (-38 %) und in den kleineren Zentren von etwa 115 m² auf 86 m² (-29 %).» In den ländlichen Gemeinden sind fast identische Zahlen zu beobachten.
 

Abgesehen davon ist diese Schrumpfung möglicherweise nicht allein auf den Wunsch nach Verdichtung zurückzuführen, analysieren die Ökonomen von Raiffeisen, sondern auf den veränderten Lebensstil der Schweizer: «Die zunehmende Individualisierung und die Alterung unserer Gesellschaft führen dazu, dass die Schweizer Bevölkerung in immer kleineren Haushalten lebt, was wiederum die Nachfrage nach kleineren Wohnungen steigen lässt.»

 

Verdichtung? Gar nicht so einfach.  
 

Die Verdichtung ist ein komplexer Prozess mit vielen Hindernissen.  «Strenge, unflexible und unterschiedliche Bau- und Raumplanungsvorschriften sowie die derzeit sehr liberale Rekurspraxis erhöhen die Planungskosten und führen zu wachsenden administrativen Schwierigkeiten», erklären die Experten von Raiffeisen. Das sieht man an der Zahl der verzögerten, blockierten oder sogar aufgegebenen Projekte. Und daran, dass es zunehmend länger dauert, eine offizielle Bewilligung zu erhalten.  «Anfang der 2000er Jahre dauerte es durchschnittlich 90 Tage, bis ein Antrag bewilligt wurde. Im letzten Jahr war dieser Durchschnitt auf etwa 150 Tage gestiegen.» Und betrug in den grössten Städten sogar 177 Tage! Bei grossen Projekten dauert es sogar noch länger: Dann steigt der Durchschnitt auf 220 Tage. Anfang der 2000er Jahre war es noch ein halber Monat.
 

Kurzum, eine Verdichtung ist zwar unerlässlich, um die Landschaft zu schonen, aber es werden Kompromisse nötig sein, um sie umzusetzen. «Es müssen geeignete Anreize für Projektentwickler geschaffen und die Hindernisse, die den Planungs-, Baubewilligungs- und Bauprozess blockieren, so weit wie möglich behoben werden.» Deshalb, so das Fazit der Raiffeisen, «ist es höchste Zeit, Fragen über die Richtigkeit bestehender Grundsätze in der lokalen Bau- und Zonenplanung sowie zur aktuellen Rekurspraxis öffentlich zu diskutieren.» Was in der Schweiz keine leichte Aufgabe sein wird.
 

Olivier Toublan, Immoday