Einbindung der ESG-Kriterien bei kollektiven Immobilienanlagen: Welche regulatorischen Auswirkungen sind zu erwarten?

21/08/2020

Jean-Yves Rebord

Python

6 min

Die Einbindung der Aspekte Umwelt, Soziales und Governance (die sogenannten ESG-Kriterien «Environment», «Social» und «Governance») ist auf bestem Wege, zu einer prudenziellen Realität für das Schweizer Asset Management zu werden.

 

Der Bundesrat hat mit der Veröffentlichung des Rechtsgutachtens «Berücksichtigung von Klimarisiken und -wirkungen auf den Finanzmarkt» im Oktober 2019 den Grundstein für das neue Regelwerk gelegt. Dieses Gutachten kommt im Wesentlichen zum Schluss, dass die Verwalter von Kollektivvermögen gestützt auf die auftragsrechtlichen Sorgfaltspflichten verpflichtet sind, im Rahmen ihres Risikomanagements dem Klimarisiko ebenso Rechnung zu tragen wie dem Markt- oder dem Liquiditätsrisiko. Mitte Juni dieses Jahres haben SwissBanking und die SFAMA in Zusammenarbeit mit Swiss Sustainable Finance ihren Leitfaden für den Einbezug von ESG-Kriterien in den Beratungsprozess für Privatkunden bzw. für nachhaltiges Asset Management publiziert. Die FINMA wiederum beobachtet seit Kurzem sehr genau, welche langfristigen Folgen mit Klimarisiken einhergehen können. Ende Juni hat sie öffentlich bekundet, sie befasse sich eingehend mit den Klimarisiken im Finanzsektor und prüfe auch regulatorische Massnahmen zur Erhöhung der Transparenz über solche Risiken in diesem Bereich.

 

Die Green-Finance-Regulierung ist also auch in der Schweiz unbestritten auf dem Vormarsch. Der Immobilienbereich ist der zweitgrösste Treibhausgasemittent in der Schweiz und dürfte in den kommenden Jahren einen bedeutenden strukturellen Umbau erfahren.[1] Vor diesem Hintergrund schien es uns interessant, die ersten regulatorischen Auswirkungen der «Green Finance» aufzuzeigen, mit welchen die Verwalter von Immobilienvermögen kurzfristig rechnen müssen. Es sind dies Folgende:

 

Auswirkungen auf den Anlageprozess

Zunächst werden im Rahmen der Anlagepolitik für jedes Produkt die ESG-Ziele formuliert und die Verantwortlichen für deren Erreichung bestimmt werden müssen. Auch gilt es, die Instrumente auszuwählen, mit denen die Ergebnisse für das gesamte Portfolio gemessen und mit anderen Produkten verglichen werden können. Auf internationaler Ebene gibt es diese Instrumente bereits seit rund zehn Jahren. Die vom «Green Building Certification Institute» (GRSB) angebotenen Lösungen scheinen heute am häufigsten genutzt zu werden. In der Schweiz hat sich jüngst ein Ratingverfahren durchgesetzt. Dieses hat im Juni dieses Jahres zur Lancierung des Swiss Sustainable Real Estate Index geführt, in welchen die SICAV Erres als erste Komponente aufgenommen wurde. Andere Fonds ziehen bereits Drittanbieter wie die Inrate AG bei, um ihre Immobilien nach den ESG-Kriterien bewerten zu lassen.

 

Im Rahmen der Anlagestrategie wird anschliessend festzulegen sein, mit welchem Nachhaltigkeitsansatz die ESG-Ziele umgesetzt werden sollen. Angesichts der sich abzeichnenden ESG-Standards kommen im Immobilienbereich folgende Ansätze infrage:

 

- Ausschluss (negatives Screening): Dieser Ansatz besteht darin, bestimmte Arten von Gebäuden anhand objektiver Kriterien (umweltschädliches Baumaterial, CO2-Emissionsgrenzwert, unzureichende soziale oder ökologische Verträglichkeit usw.) und unabhängig von ihren Renditeperspektiven auszuschliessen.

 

- Best-in-Class: Dieser Ansatz besteht darin, nur die Objekte auszuwählen, welche die höchsten Nachhaltigkeitsstandards erfüllen. Dieser Ansatz setzt voraus, dass esshutterstock_384286213 (1) (1).jpg anerkannte Baulabels gibt, auf die man sich beziehen kann. Diese Labels erleben derzeit einen richtiggehenden Boom und gliedern sich mittlerweile nach der Art der Gebäude.[2]

 

- ESG-Integration: Dieser Ansatz besteht darin, die Auswirkungen der ESG-Kriterien auf den künftigen Cashflow oder die Abzinsungssätze der Gebäude abzuschätzen. Im Gegensatz zum Ausschluss- bzw. Best-in-Class-Ansatz kann mit diesem Ansatz in Objekte mit einer geringen Nachhaltigkeitsperformance investiert werden, die nach Einbindung der ESG-Risiken jedoch interessante Renditeaussichten bieten.

 

Selbstverständlich muss der gewählte Ansatz den formulierten ESG-Zielen entsprechen.

 

Auswirkungen auf das Risikomanagement und die Compliance

 

Im Sinne der SFAMA-Fachempfehlung zum Risikomanagement sollten Vermögensverwalter Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen in ihre bestehenden Risikomanagementprozesse zur Identifizierung solcher Risiken und Chancen integrieren. Konkret bedeutet dies, dass die ESG-Risiken und der Ansatz zu deren Steuerung auf Produktebene im Risikoprofil dokumentiert und die sicherzustellenden Kontrollen und Reportings formalisiert werden.

 

Die Weiterentwicklung der Rechtsvorschriften (auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene) für Gebäude stellt in diesem Zusammenhang sicherlich ein hohes Risiko in den nächsten Jahren dar. Auch dem von den Investoren definierten ESG-Ansatz wird Rechnung zu tragen sein. Schon jetzt haben mehrere Pensionskassen ESG-Kriterien für ihre künftigen Investitionen – auch im Immobilienbereich – festgelegt. Es werden also nicht nur die regulatorischen Vorgaben, sondern auch die Erwartungen dieser einflussreichen Investoren zu erfüllen sein.

 

Sollte der Ausschluss- oder der Best-in-Class-Ansatz gewählt werden, wird auch eine Compliance-Funktion eingeführt werden müssen, um bereits im Vorfeld einer Transaktion sicherzustellen, dass die festgelegten Kriterien bzw. Standards eingehalten werden.

 

Auswirkungen auf die Information

 

Zu guter Letzt besteht auch kein Zweifel daran, dass die Informationspflicht in Bezug auf die Einbindung der ESG-Kriterien auf Produktebene verstärkt wird. Gemäss den Musterprospekten zur am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Finanzdienstleistungsverordnung sind bereits konkrete Angaben zu den vorhersehbaren Auswirkungen der Klima- oder Umweltrisiken erforderlich, wenn nicht der Ausschluss- oder der Best-in-Class-Ansatz gewählt wird. Auf internationaler Ebene hat die Standardisierung dieser Informationen im Übrigen bereits begonnen.[3]

 

Doch alles deutet darauf hin, dass die Informationspflicht sogar so weit ausgedehnt wird, dass in den Jahresberichten oder anderen Kommunikationsmedien ein Schlüsselindikator zur Nachhaltigkeitsperformance zu veröffentlichen sein wird. Für den Immobilienbereich ist also damit zu rechnen, dass der durchschnittliche Energieverbrauch eines Portfolios ebenso angegeben werden muss wie die TER.

 

Unseres Erachtens wird die Weiterentwicklung der Regulierung in den nächsten Jahren vor allem im Zeichen der Einbindung der ESG-Kriterien bei kollektiven Immobilienanlagen stehen. Die ersten Konturen zeichnen sich bereits ab, doch stellt die konkrete Umsetzung eine Herausforderung für die Branche dar.

 

Es müssen spezifische Standards erarbeitet werden, um glaubwürdige Nachhaltigkeitsansätze, zuverlässige Instrumente für die Erhebung, Messung und für den Vergleich der Nachhaltigkeitsperformance sowie eine einheitliche Nomenklatur zur Sicherstellung einer aussagekräftigen und transparenten Information zu definieren.

 

Die Einbindung der ESG-Kriterien an sich ist keine leichte Aufgabe. Im Immobilienbereich sind dazu Fachkenntnisse in verschiedensten Bereichen (Energie, Urbanistik, Umwelt, Finanzen, Recht und Rating) erforderlich, die eine fachübergreifende Zusammenarbeit und eine spezifische Ausbildung notwendig machen werden.

 

Was den Schweizer Regulierungsrahmen betrifft, so müssen die Berufsverbände der Immobilienwirtschaft gemeinsam ihren Beitrag leisten, um einen reibungslosen Übergang zur Einbindung der ESG-Kriterien zu gewährleisten – egal ob in Form eines praktischen Leitfadens, von Selbstregulierung oder einer speziellen Ausbildung.

 


[1] Eine Übersicht findet sich in Gebäudepark 2050 – Vision des BFE.

[2] Landkarte Standards und Labels von Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz NNBS

[3] Diesbezüglich siehe insbesondere die Richtlinien und Empfehlungen zur Präsentation und Kommentierung der Klimarisiken, welche die Task Force on Climate-related Financial Disclosure erlassen hat.